Hans Vorländer (Professor, TU Dresden, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Integration und Migration) und Winfried Kluth (Professor, Martin Luther Universität Halle, Mitglied des Sachverständigenrates für Integration und Migration) [1]
In der Debatte über die Verlagerung von Anerkennungsverfahren in Drittstaaten werden unterschiedliche Konstellationen diskutiert, die hinsichtlich ihrer Zielsetzungen, organisatorischen und rechtlichen Anforderungen sowie ihrer Steuerungswirkungen grundlegend voneinander unterschieden werden müssen. Insgesamt sprechen deutlich mehr Argumente gegen als für die Auslagerungsidee. Die bisherigen Vorschläge werfen erhebliche politische, juristische und operative Fragen auf. Das gilt vor allem für die Beachtung des in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Prinzips der Nichtzurückweisung (Non Refoulement-Gebot). Aber auch das Verbot der kollektiven Ausweisung sowie der Anspruch auf Zugang zu effektivem Rechtsschutz sind zu beachten. Hier gibt es völkerrechtliche Verpflichtungen, die wahrgenommen werden müssen.
Vor dem Hintergrund anhaltend hoher Asylantragszahlen in Deutschland war in einer Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 6. November 2023[2] beschlossen worden, dass die Bundesregierung prüfen wird, „ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann“. Eine ähnliche Vorgabe enthält auch schon der Koalitionsvertrag.[3]
Einordnung der Debatte
Gewaltsame Konflikte in Europa und der Welt haben in den vergangenen Jahren zu weiter steigenden Flüchtlingszahlen geführt. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) waren Mitte 2023 weltweit rund 110 Millionen Menschen auf der Flucht[4] – so viele wie noch nie zuvor. Diese Entwicklung wird aufgrund zahlreicher Krisenherde, Krieg und Terror, Armut und Perspektivlosigkeit sowie einem voranschreitenden Klimawandel voraussichtlich auch in den kommenden Jahren anhalten. Obwohl der weitaus größte Teil entweder Binnenflüchtlinge im eigenen Land sind oder in die unmittelbaren Nachbarländer flieht, suchen auch zahlreiche Menschen in Europa Schutz und neue Chancen. Nach Angaben der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) wurde im vergangenen Jahr innerhalb der Europäischen Union (EU) mit mehr als 1,1 Millionen Asylanträgen ein Siebenjahreshoch erreicht. Hinzu kamen bis Ende 2023 rund 4,3 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in EU-Mitgliedstaaten Aufnahme gefunden haben – gut 1,2 Millionen von ihnen wurden in Deutschland registriert.[5]
Angesichts dieser Entwicklungen stehen staatliche Institutionen auf allen föderalen Ebenen in Deutschland sowie die Zivilgesellschaft vor großen Herausforderungen, was Aufnahme und Integration betrifft. Ihr Einsatz ist vielerorts enorm; gleichwohl sind Aufnahmekapazitäten begrenzt und in vielen Kommunen ausgeschöpft. Das Anliegen, Migration effektiver zu steuern, ist daher nachvollziehbar.
In diesem Kontext wird wieder verstärkt über die Verlagerung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten diskutiert – eine Überlegung, die seit gut vierzig Jahren immer wieder ventiliert wird. Bereits 2017 hat sich der SVR in seinem Jahresgutachten am Beispiel von Aufnahmezentren in Nordafrika mit der Historie dieser Debatte über Möglichkeiten und Grenzen extraterritorialer Asylpolitik beschäftigt.[6] Die jeweiligen Vorschläge (Dänemark, 1986 und 2001; Großbritannien, 2003; Deutschland, 2005 und erneut 2016; 2018 Erörterung von „Ausschiffungsplattformen“ im Europäischen Rat) wurden in der Vergangenheit allerdings nie umgesetzt.
Dabei stand bei den Debatten in der EU meist ein Konzept im Fokus, das eine Auslagerung von Asylverfahren an Aufnahmezentren in Dritt- oder Transitstaaten in Kombination mit einer anschließenden Schutzgewährung bei erfolgreich durchlaufenem Verfahren in der Europäischen Union vorsah. Ein wichtiger Vorteil dieses Konzepts liegt auf der Hand: Die irreguläre und gefährliche Fahrt über das Mittelmeer wäre weniger attraktiv, wenn Schutzbedürftige auf sicherem Weg legal in die EU einreisen könnten. Irreguläre Migrationswege würden an Attraktivität verlieren, Todeszahlen dadurch sinken, die Geschäfte der Schlepperbanden zerstört.[7] Auch könnte eher gewährleistet werden, dass Menschen mit besonderem Schutzbedarf das Recht auf Asyl in Anspruch nehmen anstatt solche, die die gefährlichen Routen und die damit einhergehenden Kosten auf sich nehmen können. In Bezug auf die Aufnahmestaaten wird mit dem Vorteil sinkender irregulärer Zuwanderung und einer höheren Akzeptanz in der Bevölkerung argumentiert, einem besseren Screening der Schutzsuchenden und der daraus eventuell möglichen Identifikation von Gefährdern und Straftätern sowie einer möglichen Vereinheitlichung von Asylverfahren.
Asylverfahren außerhalb des EU-Territoriums sind allerdings nicht Teil der im Dezember im Grundsatz beschlossenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), sondern werden derzeit im Wesentlichen von einzelnen Staaten vorangetrieben. So verhandeln Länder wie Großbritannien und Italien über eine konkrete Umsetzung und weitere Länder (u. a. Deutschland) prüfen ebenfalls Möglichkeiten für eine Verlagerung. Dabei steht bisweilen das Argument der Abschreckung im Fokus, die durch eine vollständige Auslagerung nicht nur von Verfahren, sondern auch von Aufnahme erreicht werden soll.[8]
Der SVR hat wiederholt zu Überlegungen der Externalisierung Stellung bezogen. Auch wenn er die praktischen Vorteile sieht, kam er dabei jeweils zu der Einschätzung, dass die diskutierten Vorschläge zu einer Auslagerung von Asylverfahren erhebliche politische, juristische und operative Fragen aufwerfen. Das gilt vor allem für die Beachtung des in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verankerten Prinzips der Nichtzurückweisung. Aber auch das Verbot der kollektiven Ausweisung sowie der Anspruch auf Zugang zu effektivem Rechtsschutz dürfen nicht verletzt werden.
Im Folgenden wird auf aktuell diskutierte Modelle eingegangen und im Anschluss die Frage aufgegriffen, inwieweit sie mit der GFK und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sind und welche praktischen und politischen Implikationen zu bedenken sind.
Modelle zur Auslagerung im Vergleich
In der Debatte über die Verlagerung von Anerkennungsverfahren in Drittstaaten werden unterschiedliche Konstellationen diskutiert, die hinsichtlich ihrer Zielsetzungen, organisatorischen und rechtlichen Anforderungen sowie ihrer Steuerungswirkungen grundlegend voneinander unterschieden werden müssen. Es lassen sich folgende Modelle unterscheiden:[9]
Auslagerung von Asylverfahren und Schutzgewährung
Dieses Modell gilt als das restriktivste Modell im Sinne des Flüchtlingsschutzes. Es sieht vor, Asylverfahren sowie die Schutzgewährung bzw. den Aufenthaltsstatus nicht nur räumlich, sondern auch rechtlich an Drittstaaten auszulagern. Schutzsuchende, die in das eigene Territorium irregulär einreisen oder einzureisen versuchen, werden in einen Drittstaat überführt, wo sie ein Asylverfahren durchlaufen und – bei positivem Bescheid – eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Eine Rückkehr oder Einreise in das ursprüngliche Zielland ist nicht vorgesehen. Im Rahmen eines Programms zum offshore-processing arbeitet die australische Regierung seit 2012 mit den Staaten Nauru und Papua-Neuguinea nach diesem Konzept. Die britische Regierung verfolgt ähnliche Pläne; sie hat mit Ruanda ein entsprechendes Abkommen geschlossen.
Bei der Umsetzung des Modells zeigen sich in beiden Fällen erhebliche Schwierigkeiten – insbesondere in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte. So wurde das Programm der australischen Regierung massiv kritisiert. Auch die Pläne der britischen Regierung erfahren Ablehnung: Die zuständigen Gerichte haben die Abschiebung irregulär eingereister Migrantinnen und Migranten bislang gestoppt und der Oberste Gerichtshof hat das Abkommen im vergangenen Jahr als rechtswidrig eingestuft. Die Begründung: Ruanda sei kein sicherer Drittstaat.[10] Die Richter sahen außerdem die Gefahr, dass Asylanträge in Ruanda nicht ordnungsgemäß geprüft und Asylsuchende auf der Grundlage in ihr Herkunftsland zurückgeschickt würden; damit entsprächen die Verfahren nicht dem Non-Refoulement-Gebot der GFK.[11] Die Regierung will Ruanda nun per Gesetz zu einem sicheren Drittstaat erklären. Der Entwurf wurde inzwischen vom Unterhaus gebilligt, das Oberhaus folgte diesem Votum bisher aber nicht. Es verlangt zunächst die Umsetzung der vertraglich vereinbarten Garantien durch Ruanda, bevor es das Land als „sicher“ einstufen will.[12] Hier zeigt sich, dass vor allem die notwendigen rechtlichen Garantien durch den entsprechenden Drittstaat ein Dreh- und Angelpunkt einer völkerrechtskonformen Umsetzung sind.
Zudem werden die Kosten der Externalisierung in Frage gestellt. Eine vollständige Auslagerung von Asylverfahren und Aufnahme ist extrem teuer, wenn man die Fallzahlen einbezieht. Die britische Regierung wird nach Berechnungen des unabhängigen Rechnungshofs bis 2027 voraussichtlich eine halbe Milliarde britische Pfund für das Programm zahlen müssen. In dieser Zeit sollen bis zu 1.000 irregulär eingereiste Migrantinnen und Migranten an Ruanda überstellt werden.[13] Australien hat rund 3,4 Millionen australische Dollar pro Person für das offshore processing in Nauru und Papua-Neuguinea gezahlt.[14]
Auslagerung von Asylverfahren
Dieses Modell sieht eine räumliche Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten vor und zwar nach den rechtlichen Standards des Staates, der die Externalisierung betreibt. Bei positivem Bescheid dürfen die Schutzbedürftigen dann in ihr ursprüngliches Zielland einreisen.
Hierzu gibt es verschiedene diskutierte Konstellationen:
1. Transfer durch den Zielstaat in einen Drittstaat, in dem das Verfahren durchgeführt wird
Einen solchen Ansatz verfolgt derzeit Italien.[15] Es will Schutzsuchende, die in internationalen Gewässern vor der italienischen Küste aufgegriffen werden, nach Albanien bringen. Dort sollen zwei Aufnahmeeinrichtungen entstehen. Die Zahl der gleichzeitig dort untergebrachten Personen, die die Einrichtungen während ihres Verfahrens nicht verlassen dürfen, ist auf 3.000 begrenzt. Insgesamt sollen pro Jahr bis zu 36.000 Personen ein Asylverfahren in Albanien durchlaufen können.[16] Für die Verfahren in Albanien sind italienische Behörden zuständig; es gilt italienisches Recht. Für die externe Überwachung sollen albanische Behörden zuständig sein. Personen, die Anspruch auf Asyl haben, werden anschließend nach Italien gebracht. Alle Kosten für die Verfahren übernimmt Italien, hinzukommen weitere Sonderausgaben – 100 Millionen Euro werden dafür pro Jahr mindestens veranschlagt.[17] Das Programm ist zunächst auf fünf Jahre angelegt.
Es stellen sich dabei u. a. logistische Fragen, etwa ob die 3.000 Plätze in den beiden Aufnahmezentren reichen werden, die Italien mit Albanien vereinbart hat (vgl. SVR 2024, Kap. A.2.2, erscheint in Kürze). Unklar ist auch, welche Lebensbedingungen dort herrschen werden[18] und inwieweit es überhaupt rechtmäßig ist, italienisches Personal in Albanien einzusetzen.[19] In Albanien stößt das Vorhaben auf Bedenken: So hatte das Verfassungsgericht in Tirana die Ratifizierung des Abkommens im Dezember 2023 zunächst ausgesetzt[20], im Januar dann aber gebilligt. Das Abkommen beeinträchtige „nicht die territoriale Integrität“ Albaniens[21], so das jüngste Votum der albanischen Verfassungsrichter.[22] Menschenrechtsorganisationen warnen vor groben Rechtsverstößen, darunter auch Verstöße gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit von Menschen in Seenot sowie das Recht, Asyl zu suchen und ohne Diskriminierung behandelt zu werden. Zudem sei unklar, wie der Zugang zu Rechtsberatung für Personen während des Screenings- und Antragsverfahrens gestaltet und sichergestellt werden soll.[23]
2. Durchführung des Verfahrens von vornherein in Drittstaaten
Dieses Modell wurde u. a. als Impuls von einigen SPD-Bundestagsabgeordneten ins Spiel gebracht[24] und ähnelt Überlegungen, die auf EU-Ebene im Rahmen früherer Debatten angestellt wurden. Es sieht vor, dass Schutzsuchende Asylanträge für EU-Mitgliedsstaaten in „Migrations-Zentren“ in sicheren Drittstaaten stellen können und die Anträge dort bearbeitet werden. „Jeder Person, die die gesetzlichen Kriterien für Asyl erfüllt, wird ein Schutzstatus gewährt. Es gibt keine Obergrenze für Schutzsuchende. So wird irreguläre und lebensbedrohliche Migration durch legale und sichere Migration ersetzt. In den „Migrations-Zentren“ sollen langfristige Visa ausgegeben sowie anschließende Möglichkeiten der regulären und sicheren Einreise in die EU geschaffen werden“, heißt es in dem Papier. Die „Migrations-Zentren“ müssten in einer Kooperation aus UNHCR, EU und dem jeweiligen Drittstaat betrieben und die humanitären und menschenrechtlichen Standards in diesen Einrichtungen gewahrt bleiben.
3. Botschaftsasyl
In dieser Variante können Schutzsuchende ebenfalls einen Asylantrag stellen, ohne dass sie sich zuvor auf den Weg nach Europa gemacht haben. Personen, die sich noch in der Region des Herkunftsstaates befinden, in dem ihnen Verfolgung droht, können in einer Einrichtung (z. B. in einer Botschaft oder einem Konsulat) einen Asylantrag stellen bzw. ein humanitäres Visum beantragen. Dieses Verfahren kann unter bestimmten Umständen auch in einem Drittstaat bzw. einem Transitstaat durchgeführt werden.
In dieser Konstellation liegt kein Fall der Zurückweisung oder Rückführung vor mit der Folge, dass es keine besonderen internationalrechtlichen Anforderungen gibt, die durch Deutschland oder die Europäische Union zu beachten sind. Zu beachten sind in diesen Fällen vor allem die Mindestanforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens, bei dem es sich um eine Form des Botschaftsasyls handelt. Darauf wird hier nicht näher eingegangen. Ob das Botschaftsasyl für Deutschland eine Option sein könnte, ist umstritten.[25]
Rechtliche Fragen
Ist Schutzgewährung durch die Europäische Union erforderlich?
Bislang spielt die Drittstaatenthematik in Deutschland und der EU nur im Einzelfall eine Rolle. Sollte jedoch eine generelle Überführung von Schutzsuchenden (oder von bestimmten Gruppen) in einen oder mehrere Drittstaaten angestrebt werden, so stellen sich sowohl in Bezug auf die GFK als auch das Unionsrecht weitere Fragen.
Die „Bindung“ der Europäischen Union an die GFK bezieht sich nicht nur auf deren normativen Teil, sondern schließt auch die in den Eingangserwägungen der GFK nachdrücklich formulierte Aufforderung zur solidarischen Lastentragung ein. Das gilt auch deshalb, weil die EU genau diesen Gedanken in Art. 80 AEUV für ihren Binnenbereich ebenfalls ausdrücklich formuliert hat. Die Verweisung auf sichere Drittstaaten ist in diesem Zusammenhang ein Modell, um die Lastenteilung zu verwirklichen.
Zwar lässt sich argumentieren, dass der angemessene Schutz auch in einem Drittstaat angeboten werden kann. Mit Blick auf die in Art. 78 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten Gesetzgebungsermächtigungen wird aber deutlich, dass das Primärrecht von der Schutzgewährung durch die EU in der EU als dem Normalfall ausgeht. Hier sprechen damit die besseren Gründe für eine Interpretation, die eine Schutzgewährung in der Union bzw. einem Mitgliedstaat verlangt, weil für die Rechtsordnung und die verfassungsrechtliche Lage in Drittstaaten keine dauerhafte Garantie durch die EU übernommen werden kann.
Außerdem könnte eine generelle Verlagerung der Schutzgewährung auch dem Sinn und Zweck der durch Art. 78 AEUV zugewiesenen Aufgabe widersprechen, die von einer Schutzgewährung durch die EU/Mitgliedstaaten im Sinne eines Beitrags zu internationalen Lastentragung nach der GFK ausgeht. Art. 78 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sagt dazu: „Die Union entwickelt eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll. Diese Politik muss mit dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen.“
Eine vollständige Externalisierung der Schutzgewährung steht aus Sicht des SVR daher im Widerspruch zum primärrechtlichen Bekenntnis der EU, selbst einen Flüchtlingsschutz nach dem Maßstab der Genfer Flüchtlingskonvention zu leisten. Auch die besten Verträge mit Drittstaaten können rechtsstaatliche Verhältnisse in diesen Staaten nicht auf Dauer in gleicher Weise garantieren wie dies die EU in ihrem Territorium primärrechtlich verspricht.
Eine Verweisung auf sichere Drittstaaten, zu denen die Schutzsuchenden eine Beziehung haben und die bereit sind, diese aufzunehmen, ist dagegen prinzipiell möglich (Artikel 3 Abs. 3 Dublin III-Verordnung).[26] Daraus folgt indes noch nicht zwingend, dass eine Zusammenarbeit mit Drittstaaten, die über eine Verweisung an Drittstaaten in Einzelfällen hinausgeht, gänzlich ausgeschlossen ist. Im Einklang sowohl mit der GFK als auch mit Art. 78 AEUV wäre eine solche Vorgehensweise möglich, wenn sie auf die Fälle einer Überlastung der EU begrenzt würde und darauf abzielt, die internationale Lastenteilung zu verwirklichen bzw. zu verbessern.
Vor dem Hintergrund beider Erwägungen erscheint allenfalls ein Modell denkbar, das auf einer Kontingentierung der Aufnahme in der EU aufbaut, wobei die Kontingente die maximale Aufnahmekapazität widerspiegeln, wie sie in Zukunft nach der Asylmanagementverordnung berechnet wird, und nur in Fällen einer Überlastung eine Verlagerung der Aufnahme durch Drittstaaten vorsieht. Ein solches Modell würde den neuen internen Solidaritätsmechanismus mit einem System externer Solidarität bzw. Lastenteilung verbinden.
Dieser konzeptionelle Weg steht in Einklang mit Grundannahmen der GFK und des Art. 78 AEUV. Ob er mit Blick auf die großen Herausforderungen, die darin bestehen, Drittstaaten zu finden, die entsprechende rechtstaatliche Verhältnisse stabil garantieren können, politisch und pragmatisch wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt und ist politisch zu beurteilen.
Rechtliche Grundlagen für eine Verweisung auf einen sicheren Drittstaat
Es ist internationalrechtlich grundsätzlich anerkannt, dass auch ein Staat, der die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert hat, auf anderweitigen Schutz in einem (sicheren) Drittstaat verweisen kann. In diesen Fällen sind aber die Anforderungen der GFK, der UN-Kinderrechtskonvention und der EMRK zu beachten. Das setzt auch Art. 3 Abs. 3 Dublin-III-VO voraus.[27] Hinzu kommen für die EU und ihre Mitgliedstaaten die Bindungen aus der Grundrechte-Charta (GRCh), insbesondere hinsichtlich der Gewährleistung von Rechtsschutz.
Das deutsche Grundgesetz erkennt eine solche Verweisung auf sichere Drittstaaten in seinem Art. 16a Abs. 2 GG ebenfalls an[28], und das Bundesverfassungsgericht hat die dabei zu beachtenden Anforderungen konkretisiert (BVerfGE 94, 49 ff).[29]
Zurzeit wird das Konzept des sicheren Drittstaates in Art. 38 der Richtlinie 2013/32/EU definiert. Der oder die Schutzsuchende muss demnach zum Drittstaat eine Verbindung haben; es darf u. a. keine Lebensgefahr oder eine Gefahr eines ernsthaften Schadens bestehen; die Nicht-Zurückweisung nach der GFK muss eingehalten werden; die Person muss die Möglichkeit haben, Schutz gemäß der GFK zu bekommen.
Im Zuge der GEAS-Reform wurde das Konzept des sicheren Drittstaates in Art. 60 der neuen Asylverfahrensordnung (Ratsdokument 6375/24) neu definiert. Darin steht u. a., dass ein Drittstaat nur als sicher eingestuft werden kann, wenn das Leben einer Person ohne dortige Staatsbürgerschaft aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dort nicht gefährdet ist. Es darf keine Gefahr für die Person bestehen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Außerdem muss die Person gegen Refoulement geschützt werden und Zugang zu einem wirksamen Schutz haben. Das Verbindungskriterium bleibt erhalten, d. h. die Person muss einen Bezug zum Drittstaat haben.
In einer Analyse der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages[30] wurde die Frage erörtert, ob einzelne Asylverfahrenszentren in Drittstaaten als sicher eingestuft werden könnten. Er kam zu dem Ergebnis: Da Art. 16a Abs. 2 GG Drittstaaten betrifft und nicht einzelne Zentren, müsste der gesamte Drittstaat, in dem sich das Zentrum befindet, als sicher gelten.
Das Konzept des wirksamen Schutzes wird nun auch in Art. 58 der neuen Asylverfahrensverordnung (Ratsdokument 6375/24) bestimmt. Somit wird ein wirksamer Schutz vorausgesetzt. Ist dies nicht der Fall, muss der Aufenthalt genehmigt werden, und u. a. für einen Zugang zu ausreichenden Existenzmitteln, Bildung und gesundheitlicher Versorgung gesorgt werden. Falls die Verordnung wie geplant im April 2024 formal verabschiedet wird, gilt sie zwei Jahre nach Ihrem Inkrafttreten (voraussichtlich im Jahr 2026).
Rechtliche Anforderungen an Asylverfahren in Drittstaaten
Falls in sicheren Drittstaaten Asylverfahren durchgeführt werden sollen, stellt sich die Frage, ob die EMRK gelten würde. Die Antwort darauf ist abhängig von den Umständen.
Die EMRK würde laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) dann gelten, wenn die EMRK-Vertragsstaaten eine sog. „wirksame Kontrolle“ haben. Bei Aufnahmezentren in Drittstaaten wäre dieser Punkt insofern relevant, als dass die EMRK womöglich gelten könnte, wenn von einer wirksamen Kontrolle ausgegangen werden kann. Dies könnte der Fall sein, falls ein Aufnahmezentrum mehrheitlich von EU-Beamten geleitet wird. Wenn das Zentrum lediglich von der EU finanziert, aber nicht geleitet wird, könnte dies ein Indiz für eine nicht vorhandene wirksame Kontrolle sein. In diesem Falle könnte die EMRK also nicht gelten.[31] Außerdem gilt die EMRK, sobald ein Vertragsstaat eine wirksame Kontrolle über einen Menschen hat, z. B. wenn ein Schutzsuchender den EMRK-Staat schon betreten hat oder wenn die Person von einem staatlichen Schiff aus Seenot gerettet wird.[32]
Italien und Albanien sind beide Vertragsstaaten der EMRK, außerdem sollen bei den Asylverfahren alle Standards der Europäischen Union eingehalten werden. Dass die Vereinbarkeit mit der EMRK ein kritischer Punkt bei entsprechenden Abkommen sein kann, zeigt das Beispiel Großbritannien, wo Politikerinnen und Politiker mit dem Gedanken spielen, aus der EMRK auszutreten.[33]
Falls die EMRK nicht gilt, d. h. wenn ein EMRK-Vertragsstaat keine territorialen Hoheitsrechte ausübt, dann gelten die allgemeinen Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention (SVR 2017: 59). Trotzdem stellen sich viele rechtliche Fragen, z. B. welche Mindeststandards in den Drittstaaten garantiert werden müssten, in die die Asylverfahren ausgelagert werden sollten. Einige Standards wie das Non-Refoulement-Gebot sind klar vorgegeben, bei anderen wird auf die internationale Praxis verwiesen.[34]
Nicht-Zurückweisung
Es ist unbestritten und anerkannt, dass im Falle einer Überführung in einen Drittstaat die Einhaltung des Verbots der Ausweisung und Zurückweisung (Art. 33 GFK) wirksam gewährleistet und überwacht werden muss. Dabei ist sicherzustellen, dass weder in dem Drittstaat selbst eine Verletzung droht und dass der Drittstaat auch keine Rückführung in den Heimatstaat oder einen anderen Staat vornimmt, in dem eine Verfolgung droht.[35]
Es kommt dabei nicht darauf an, dass die GFK in dem Drittstaat ratifiziert wurde, sondern dass die von ihr bzw. von Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) verlangten Standards tatsächlich eingehalten werden.
Konkret folgt aus dem völkerrechtlichen Non-Refoulement-Gebot nach GFK und EMRK, dass weder eine direkte noch eine indirekte Rückführung in Verfolgerstaaten erfolgt, dies durch den Zielstaat einer Überstellung in der Praxis tatsächlich beachtet wird und in jedem Einzelfall gesondert geprüft wird, soweit Tatsachen vorgetragen werden, die die ernsthafte Gefahr eines Refoulement begründen können. Umfasst sind regelmäßig die Voraussetzungen eines subsidiären Schutzes nach der Asyl-Qualifikations-Richtlinie bzw. Verordnung.
Eine von einem EU-Mitgliedstaat angestrebte Initiative müsste also auf jeden Fall das Zurückweisungsverbot einhalten. Ob dieses Verbot vom Drittstaat eingehalten wird, muss in jedem Einzelfall geprüft werden.
Wirksamer Schutz
Eine Definition des Kriteriums wirksamen Schutzes ist in der neuen Asylverfahrensverordnung (Art. 58) vorgesehen. Da diese Verordnung voraussichtlich erst 2026 gelten wird, muss bis dahin auf die Standards der internationalen Praxis hingewiesen werden, die aber eine eindeutige Definition eines wirksamen Schutzes nicht zulassen.
Unter der Form des wirksamen Schutzes (effective protection) werden die neben der Beachtung des Non-Refoulement-Gebots zu berücksichtigenden weiteren (Mindest-)Anforderungen an einer Überführung diskutiert. In diesem Bereich sind zahlreiche Aspekte vor allem in der wissenschaftlichen Debatte umstritten, auch wenn es darum geht, die Staatenpraxis zu beschreiben, der bei der Interpretation völkerrechtlicher Normen eine besondere Relevanz zukommt.
Im Einzelnen sind nach der internationalen Praxis grundlegende Standards im Sinne eines „access to means of subsistence sufficient to maintain an adequate standard of living“[36] zu gewährleisten. Dabei handelt es sich um ein Niveau, das auch in Schwellenländern hinter den Aufnahmebedingungen in der EU zurückbleibt.
Diese Standards umfassen nicht alle Statusrechte nach der GFK, die dort für anerkannte Flüchtlinge als solche der dritten Stufe eines rechtmäßigen Aufenthalts (lawfully resident) gelten (Art. 14, 15, 16 Abs. 2, 17 Abs. 1, 19, 21, 23, 24, 28 GFK). So sind der Arbeitsmarktzugang und die Inländergleichbehandlung im Sozialsystem nicht einbegriffen.[37]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Zugang zu Existenzmitteln gegeben sein muss, die einen ausreichenden Lebensstandard ermöglichen. Nicht unbedingt einbegriffen sein muss dagegen z. B. der Zugang zum Arbeitsmarkt. Der wirksame Schutz muss also nicht alle Rechte gemäß der GFK enthalten.
Kinder
Bei Kindern bedarf es besonderer Vorkehrungen, die ihren Schutz nach Maßgabe der UN-Kinderrechtskonvention garantieren. Dazu gehört auch der Zugang zu Schulbildung in dem entsprechenden Drittstaat.
Familien
Der Schutz der Familie wird nicht in der GFK definiert, dafür in Art. 8 EMRK. Prinzipiell geht es um die Familie im engeren Sinne, d. h. Geschwister werden nicht mit einbegriffen. Zudem muss die Familienzusammenführung nicht notwendigerweise während des Asylverfahrens geschehen, obwohl es Ausnahmen für unbegleitete Minderjährige gibt.
Verbindungskriterium
Laut der gültigen Asylverfahrensrichtlinie muss die zu überstellende Person eine vernünftige Verbindung zu dem Drittstaat haben; dieses Verbindungskriterium wurde auch in der neuen Asylverfahrensverordnung beibehalten. Laut Daniel Thym[38] ordert das Völkerrecht kein solches Kriterium.
Die Suche nach einer Verbindung zu einem Staat ist im Flüchtlingsrecht vor dem Hintergrund einer fehlenden verbindlichen Zuständigkeitsordnung zu verstehen, die zum Problem des „refugee in orbit“ führt, weil kein Staat zur Aufnahme gezwungen werden kann, solange er das Refoulement-Verbot beachtet. Das Verbindungskriterium soll insoweit helfen, Elemente einer Auswahl vorrangig zur Aufnahme verpflichteter Staaten zu formulieren.
Zugleich wird durch das Verbindungselement aber auch auf die Interessen des Flüchtlings Rücksicht genommen. Art. 38 Abs. 2 lit. a der Asylverfahrensrichtlinie formuliert es folgendermaßen: „Regeln, die eine Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat verlangen, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt“. Daran wird deutlich, dass Antragstellende nicht ohne nachvollziehbare Gründe auf Staaten verwiesen werden sollen, die sie nicht selbst als Zielstaat gewählt haben. Es gibt somit auch eine menschenrechtliche Komponente.[39]
Die geschützten Interessen lassen sich auf Art. 8 EMRK zurückführen. Der EGMR hat sie in seiner Rechtsprechung zur Verwurzelung konkretisiert[40] und der Gesetzgeber beim Bleibeinteresse im Rahmen der Ausweisungsentscheidung aufgegriffen, wobei es im vorliegenden Zusammenhang vor allem um den Aspekt geht, nicht einer vollständig fremden sozialen Umwelt zugewiesen zu werden.
Wenn gesagt wird, dass das Verbindungselement internationalrechtlich kein zwingender Bestandteil eines Konzepts des wirksamen Schutzes oder des sicheren Drittstaates ist, so ändert dies nichts daran, dass es sich um einen menschenrechtlich bedeutsamen Aspekt handelt, der sekundärrechtlich stark abgesichert ist.
Wenn die Verweisung auf einen sicheren Drittstaat vom Einzelfall gelöst würde und eine generelle Überführung in „Vertragsstaaten“ erfolgt, zu denen überwiegend keine Verbindung besteht, so bedeutete dies eine Abkehr nicht nur vom Verbindungselement, sondern eine deutliche Erhöhung der menschenrechtlichen Eingriffsintensität in Bezug auf den fremdbestimmten Aufenthaltsort, unter Umständen in einem anderen Kontinent. Bei einer pauschalen Überführung an Drittstaaten bestehen auch Bedenken hinsichtlich der Menschenwürdegarantie, da die Verbringung von Flüchtlingen an einen Ort, zu dem sie keine Verbindung besitzen, jedenfalls die Frage aufwirft, ob hier nicht bereits ein Anwendungsfall der Objektformel[41] vorliegt. Das müsste aber genau anhand eines konkret ausformulierten Vorschlags geprüft werden.
Zusammenfassend ist zu betonen, dass ein Verzicht auf das Verbindungselement eine gravierende Veränderung des Drittstaatenkonzepts darstellen würde. Völkerrechtlich dürfte grundsätzlich ein entsprechender Spielraum bestehen, doch wird man auf eine menschenrechtliche Einzelfallprüfung nicht verzichten können, um den Anforderungen der EMRK/des EGMR zu entsprechen.
Faires Asylverfahren
Es stellt sich die Frage, inwiefern die jetzige EU-Asylverfahrensrichtlinie in Drittstaaten angewendet werden kann. Das ist insofern von Bedeutung, als Standards zu Asylverfahren nicht in der GFK festgelegt sind. Die Mindeststandards zu Asylverfahren, die vom UNHCR vorgegeben werden, liegen unter den Vorgaben des EU-Rechts. Im Albanien-Modell soll italienisches Recht angewendet werden, d. h. es kann davon ausgegangen werden, dass die EU-Richtlinie gelten würde.
Rechtsschutz
Bei der Auslagerung von Asylverfahren sind Art. 13 EMRK und Art. 47 GRCh hinsichtlich des Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Beide Vorschriften gelten zwar in erster Linie für Entscheidungen der EU-Mitgliedstaaten, müssen aber auch bei Verlagerung der Verfahren in Drittstaaten gewährleistet sein.
Ein zentrales Problem, das bereits bei den Verfahren in den Mitgliedstaaten besteht, ist der Zugang zu neutraler Information und Beratung als Voraussetzung für Rechtsschutz und ein faires Verfahren. Das setzt die Präsenz von entsprechenden Nichtregierungsorganisationen und Rechtsanwälten voraus, die eine große Herausforderung darstellen dürfte.
Weitere rechtliche, praktische und politische Fragen
Ausgangslage und Aufnahmebedingungen vor Ort
Entscheidend bei sämtlichen Auslagerungsüberlegungen ist die Frage, welche politischen, sozioökonomischen oder rechtsstaatlichen Anforderungen Transit- oder Drittstaaten erfüllen müssten, um als Partnerländer in Betracht zu kommen. Als zwingend sollte die Existenz eines Verfassungs- und Rechtsstaats mit einer funktionierenden Versorgungs- und Bildungsinfrastruktur vorausgesetzt werden. Wichtig ist zudem mit Blick auf den längeren Aufenthalt einer größeren Zahl von Drittstaatsangehörigen auch aus anderen Kulturkreisen die Sicherstellung eines diskriminierungsfreien Umgangs sowie eine tragfähige Integrationsperspektive. Auch sollte die Menschenrechtslage keine Anlässe zu Besorgnis bieten. Diese ist daher vorab anhand der Berichte der entsprechenden Ausschüsse der UN genau zu analysieren.
Was die konkrete Aufnahme betrifft, sollten bei Auslagerung von Verfahren auf Drittstaaten in etwa die gleichen Aufnahmebedingungen garantiert werden, auch wenn internationalrechtlich niedrigere Standards möglich sind. Es muss aber realistisch sein, solche Standards umzusetzen.
Kontrollmechanismen
Um eine rechtskonforme Umsetzung einer möglichen Vereinbarung und die Achtung von Menschenrechtsstandards sicherzustellen, sollte in den Vereinbarungen ein wirksames Monitoring mit Informationspflichten und Informationszugangsrechten verankert werden. Die Aushandlung entsprechender Mechanismen ist als Teil der Verantwortungsübernahme von besonderer Bedeutung, hinsichtlich etwaiger Interessenkonflikte aber auch besonders schwierig.
In diesem Zusammenhang müssten auch Vorkehrungen für den Fall getroffen werden, dass sich das politische und rechtliche System in dem Partnerland negativ verändert mit der Folge, dass die Beachtung der vereinbarten Standards und Garantien gefährdet ist.
Eine einheitliche Überwachung der rechtlichen Standards in ausgelagerten Asylverfahrenszentren würde wahrscheinlich noch erschwert werden, wenn viele Abkommen auf nationaler Ebene abgeschlossen werden. Denn falls mehr EU-Mitgliedstaaten dem Beispiel Italiens folgen und nationale Abkommen mit einzelnen Drittstaaten abschließen, dann besteht die Gefahr einer unübersichtlichen Verflechtung unterschiedlicher Asylverfahren und Standards, ganz abgesehen davon, dass es zu einer Fragmentierung des europäischen Asylregimes käme. Andererseits ist derzeit ein Zentrum, in dem ausschließlich die Europäische Union Asylanträge prüft (z. B. durch die EU-Asylagentur), nicht möglich, da die Mitgliedstaaten Schutz gewähren, nicht die EU. Außerdem muss darüber nachgedacht werden, welche Folgen eine Nicht-Einhaltung der Menschenrechte haben würde. Würden dann die Schutzsuchenden wieder in einen EU-Mitgliedstaat transportiert werden? Würde der entsprechende Drittstaat seinen Status als sog. sicheren Drittstaat verlieren?
Rückführungen
Es stellt sich auch die dringliche Frage, wie mit den Menschen umgegangen werden würde, die bei einem Asylverfahren in einem Drittstaat keinen Schutzstatus erlangen. Beim Albanien-Modell ist z. B. unklar, wer für die Rückführung verantwortlich ist und was passieren würde, wenn die zurückzuführenden Personen z. B. wegen fehlender Dokumente nicht in ihr Herkunftsland zurückreisen können – womöglich müsste Italien diese Personen wieder aufnehmen.[42]
Fazit
Die mit der Idee der Auslagerung von Asylverfahren an bzw. in Drittstaaten verbundenen Hoffnungen können grundsätzlich nachvollzogen werden. Die Befürworter solcher Modelle können auch darauf hinweisen, dass die derzeitige Politik des erschwerten Zugangs auf das Gebiet der Europäischen Union Tote in Kauf nimmt und zu einem „survival of the fittest“ in der Form führt, dass in der Regel physisch und finanziell besser Gestellte den Zugang schaffen, schwächere Personen aber scheitern. Vor diesem Hintergrund ist die Idee verständlich, Asylverfahren nicht erst nach einer gefährlichen (und unter Umständen tödlichen) Reise in Europa durchzuführen, sondern näher an den Fluchtherkunftsorten zu klären, ob eine Schutzbedürftigkeit besteht oder nicht.
Dennoch sprechen deutlich mehr Argumente gegen als für die Auslagerungsidee. Die bisherigen Vorschläge zu einer Externalisierung von Asylverfahren werfen erhebliche politische, juristische und operative Fragen auf. Das gilt vor allem für die Beachtung des in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Prinzips der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement-Gebot). Aber auch das Verbot der kollektiven Ausweisung sowie der Anspruch auf Zugang zu effektivem Rechtsschutz ist zu beachten. Hier gibt es völkerrechtliche Verpflichtungen, die wahrgenommen werden müssen.
Maßgeblich für die Auslagerung von Asylverfahren wäre, dass die menschen- und asylrechtlichen Standards gewahrt werden. Die Suche nach Partnerstaaten gestaltet sich deshalb außerordentlich schwierig. Asylverfahren in einem Drittstaat sind schließlich davon abhängig, ob dort politische Stabilität herrscht und es sich um einen Verfassungs- und Rechtsstaat handelt, der darüber hinaus über eine funktionierende Versorgungs- und Bildungsinfrastruktur verfügt. Eine entsprechende Einstufung ist voraussetzungsreich, die regelmäßige Überprüfung notwendig. Die politische Lage in einem Drittstaat kann sich schließlich im Laufe der Zeit oder bei Machtwechseln ändern. Bei negativen Auswirkungen auf die menschen- und asylrechtliche Situation müsste entsprechend reagiert werden. Zudem sind die politischen Folgen nicht zu unterschätzen, die mit entsprechenden Vereinbarungen einhergehen können. Hier warnt der SVR vor einer allzu großen politischen Abhängigkeit von Drittstaaten (SVR 2024: Kap. A.2.2, erscheint in Kürze).
Auch ist das Interesse von Drittstaaten, Aufnahmezentren zu etablieren, höchst überschaubar. Bislang jedenfalls haben sich hierzu mit Ruanda und Albanien nur wenige Länder bereit erklärt. Auch die praktischen Konsequenzen einer solchen Verlagerung sind völlig unklar. So könnten derartige Zentren einen Pull-Effekt haben und die Antragszahlen eher vergrößern.
Die Auslagerung von Asylverfahren durch die EU setzt zudem eigentlich voraus, dass die Asylpolitik in der EU grundlegend harmonisiert und solidarisch gestaltet wird. Personen mit festgestelltem Schutzbedarf würden dann über einen gerechten Verteilschlüssel in der EU aufgenommen. Das ist nicht absehbar und auch nicht Teil der aktuellen Pläne zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.
Ein von Deutschland im Alleingang umgesetztes Externalisierungsmodell wäre allein aufgrund der geografischen Lage Deutschlands als Land in der Mitte der Europäischen Union und des Europäischen Kontinents schwer umsetzbar. Deutschland ist in diesem Zusammenhang in einer anderen Situation als Italien.
Eine Auslagerung der Schutzgewährung könnte zudem in einem Widerspruch zum primärrechtlichen Bekenntnis der EU stehen, selbst einen Flüchtlingsschutz nach dem Maßstab der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewährleisten. Dies gilt nicht nur, aber besonders dann, wenn nicht nur die Asylverfahren externalisiert werden, sondern anschließend auch der Aufenthalt ausschließlich in einem Drittstaat gewährt werden soll. Auch die besten Verträge mit Drittstaaten können rechtsstaatliche Verhältnisse in diesen Staaten nicht auf Dauer in gleicher Weise garantieren wie dies die EU in ihrem Territorium primärrechtlich verspricht.
Gleichzeitig ist eine Kooperation mit Drittstaaten und im internationalen Verbund unabdingbar, auch im Flüchtlingsschutz. Um nachhaltige Steuerungskonzepte zu entwickeln und umzusetzen, ist eine partnerschaftliche Zusammenarbeit im internationalen Verbund und ein respektvoller Umgang auf allen Ebenen zentral. Sowohl Herkunfts- als auch Transit- und Aufnahmestaaten haben Interessen, die berücksichtigt werden müssen. Zudem empfiehlt es sich, Schutzsuchende nicht ausschließlich als Teil eines Kollektivs zu verstehen. Menschen, insbesondere Schutzsuchende haben ihre eigene Geschichte und dadurch individuelle Bedürfnisse, die auch im Falle einer Aus- oder Überweisung entsprechend berücksichtigt werden sollten.
Dazu braucht es mehr und bessere Migrationsabkommen. Dabei darf die Verantwortung nicht einfach ausgelagert, sondern muss geteilt werden. Hier geht es um die Öffnung regulärer Zugangswege im Bereich der Arbeitsmigration und Migration zum Zweck der Aus- und Weiterbildung. Neben bilateral verhandelten Migrationsabkommen sind auch die Anstrengungen der EU zu verstärken, entsprechende Abkommen zu verhandeln. Auch sollten Erstaufnahmestaaten unterstützt und Resettlementkontingente erhöht werden.
Eine reine Auslagerung von Verfahren und Schutz hingegen würde die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union in Fragen der Menschenrechte nachhaltig erschüttern. Auch das entwicklungspolitisch verfolgte Ziel, das bestehende Ungleichgewicht zu Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zu verringern, würde konterkariert, wenn dann just jene Länder weiter und vermehrt die Hauptlast von Aufnahme und Schutz tragen müssten.
Zitierte Publikationen des SVR:
SVR 2017: Chancen in der Krise: Zur Zukunft der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa. Jahresgutachten 2017, Berlin.
SVR 2021: SVR-Agenda für eine nachhaltige Integrations- und Migrationspolitik. Impulse für die Legislaturperiode 2021 – 2025. Positionspapier, Berlin.
SVR 2023: Menschenrechte als Richtschnur: SVR zur Auslagerung von Asylverfahren. Presseinformation, Berlin.
SVR 2024: Kontinuität oder Paradigmenwechsel? Die Integrations- und Migrationspolitik der letzten Jahre. Jahresgutachten 2024, Berlin.
Fußnoten
[1] Die Autoren wurden mit Schreiben vom 26. Februar 2024 vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) eingeladen, aus Anlass eines Austausches von Sachverständigen im BMI am 11. März 2024 Stellung zu den Möglichkeiten einer rechtskonformen Auslagerung von Asylverfahren in sichere Drittstaaten zu nehmen. Zugleich wurde gebeten, die Stellungnahmen dem BMI in schriftlicher Form zur Verfügung zu stellen. Wir sind der Anfrage in Form einer gemeinsamen Stellungnahme gerne nachgekommen. Die Stellungnahme wurde auch vom SVR veröffentlicht, vgl. https://www.svr-migration.de/publikation/stellungnahme-asylverfahren-drittstaaten/.
[2] S. Pressemitteilung 237 der Bundesregierung vom 07.11.2023 (https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/besprechung-des-bundeskanzlers-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-6-november-2023-in-berlin-2235222, 06.03.2024).
[3] „Wir wollen verhindern, dass Menschen für geopolitische oder finanzielle Interessen instrumentalisiert werden. Deshalb setzen wir uns für rechtsstaatliche Migrationsabkommen mit Drittstaaten im Rahmen des Europa- und Völkerrechts ein. Wir werden hierfür prüfen, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der GFK und EMRK in Drittstaaten möglich ist.“ SPD/Bündnis 90, Die Grünen/FDP 2021: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025, Berlin, 33, S. 112.
[4] Vgl. UNHCR Refugee Population Statistics Database (https://www.unhcr.org/refugee-statistics/, 06.03.2024).
[5] Vgl. EUAA: EU received over 1.1 million asylum applications in 2023. Pressemitteilung vom 28.02.2024 (https://euaa.europa.eu/news-events/eu-received-over-1-million-asylum-applications-2023, 06.03.2024). Zur Zahl der Schutzsuchenden aus der Ukraine s. Eurostat: Beneficiaries of temporary protection at the end of the month by citizenship, age and sex – monthly data. https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/migr_asytpsm/default/table?lang=en, 19.03.2024).
[6] Dänemark hatte bereits 1986 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorgeschlagen, die Asylverfahren in Transitstaaten auszulagern. Vgl. SVR 2017: 57–59.
[7] 2023 kamen mindestens 8.565 Menschen auf Migrationsrouten weltweit ums Leben – so viele wie noch nie seit Aufzeichnung der Todeszahlen im Rahmen des Projekts „Missing Migrants“ der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Die meisten Menschen starben beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Vgl. IOM: Deadliest Year on Record for Migrants with Nearly 8,600 Deaths in 2023, Pressemitteilung vom 06.03.2024 (https://www.iom.int/news/deadliest-year-record-migrants-nearly-8600-deaths-2023, 12.03.2024).
[8] Großbritannien verfolgt den Plan, Personen, die irregulär über das Meer nach Großbritannien kommen, nach Ruanda abzuschieben; sie sollen dort ein Asylverfahren durchlaufen und ggf. Aufnahme finden (s. dazu unten).
[9] Vgl. hierzu auch Auflistung der Modelle im Themendossier „Europäische Asylpolitik und Grenzschutz“ des Mediendiensts Integration (https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/eu-asylpolitik.html#c4628, 06.03.2024) und Angenendt, Biehler, Koch et al. 2024: Die Externalisierung des europäischen Flüchtlingsschutzes. Eine rechtliche, praktische und politische Bewertung aktueller Vorschläge. SWP-Aktuell 2024/A 12, S. 3–5.
[10] Vgl. Pressemitteilung des Obersten Gerichtshofs in London vom 15.11.2023 (https://www.supremecourt.uk/cases/docs/uksc-2023-0093-press-summary.pdf, 06.03.2024).
[11] Vgl. Supreme Court UK 2023: Press Summary vom 15.11.2023 (https://www.supremecourt.uk/cases/docs/uksc-2023-0093-press-summary.pdf, 13.03.2024).
[12] Das britische Oberhaus hat in seiner Sitzung am 21.03.2024 für mehrere Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf gestimmt. Die Einwände zielen u. a. darauf, dass der Status Ruandas als sicheres Drittland nicht einfach gesetzlich festgestellt und jeder künftigen juristischen Überprüfung entzogen werden können soll. Der Entwurf muss nun erneut im Unterhaus beraten werden (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/britisches-oberhaus-stoppt-ruandas-abschiebungen-abermals-19602370/ein-fuer-die-aufnahme-von-aus-19602383.html, 03.04.2024).
[13] Vgl. Angenendt et al. 2024, S. 6.
[14] S. UNSW 2022: The Cost of Australia’s Asylum and Refugee Policies. A Source Guide, S. 1. (https://www.kaldorcentre.unsw.edu.au/sites/kaldorcentre.unsw.edu.au/files/Factsheet_Cost%20of%20Australias%20asylum%20and%20refugee%20policy_April%202022.pdf, 06.03.2024).
[15] Zum bekanntesten historischen Beispiel, der ‚Pacific Solution‘, die Australien von 2001 bis 2007 in Nauru und Papua Neuguinea umgesetzt hat, vgl. Angenendt et al. 2024: 3–4.
[16] Vgl. Pressemitteilung der italienischen Regierung vom 06.11.2023 (https://www.governo.it/it/articolo/il-presidente-meloni-incontra-il-primo-ministro-della-repubblica-d-albania/24178, 07.03.2024).
[17] Vgl. Amnesty International 2023: The Italy-Albania Agreement on Migration: Pushing Boundaries, Threatening Rights, Public Statement (https://www.amnesty.org/en/documents/EUR30/7587/2024/en/ 07.03.2024).
[18] Thym, Daniel 2023: Externe Asylverfahren sind kein Zaubermittel, in: LTO, Beitrag vom 16.11.2023 (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/supreme-court-ruanda-london-parlamentsgesetz-asylverfahren-drittlaender/, 13.03.2024).
[19] Vgl. Frankfurter Rundschau vom 21.11.2023 (https://www.fr.de/politik/italien-mehrfach-rechtswidrig-92687334.html, 13.03.2024).
[20] Vgl. F.A.Z vom 14.12.2023 (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/albanien-gericht-stoppt-migrationsabkommen-mit-italien-19384548.html, 13.03.2024).
[21] Vgl. F.A.Z. vom 29.01.2024 (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bau-von-aufnahmezentren-albaniens-verfassungsgericht-befuerwortet-umstrittenes-migrationsabkommen-mi-19483251.html, 13.03.2024).
[22] Zu Kritik an dieser Entscheidung vgl. Der Standard vom 02.02.2024 (https://www.derstandard.de/story/3000000205862/verfassungsexperte-kritisiert-zulassung-von-italienischen-asylzentren-in-albanien, 07.03.2024).
[23] Vgl. Merkur vom 08.11.2023 (https://www.merkur.de/politik/gefluechtete-italien-meloni-albanien-migranten-aufnahmezentrum-absicht-aktuell-zr-92659527.html, 07.03.2024).
[24] Vgl. https://www.frank-schwabe.de/de/article/2246.impulspapier-asyl-und-migration.html (mit Pressemitteilung vom 08.11.2023), 03.04.2024.
[25] Vgl. Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag 2018: „In Deutschland gesetzlich nicht vorgesehen und völkerrechtlich umstritten ist die Gewährung von Asyl an betroffene Personen durch eine deutsche Botschaft im Ausland (sog. Botschaftsasyl)“ (WD 2 – 3000 – 140/18 (02. Oktober 2018); https://www.bundestag.de/resource/blob/577790/87042126243258a5f954a743090b4581/wd-2-140-18-pdf-data.pdfm, 03.04.2024).
[26] Nach einer Rechtsprechung des EuGH können Schutzsuchende in jeder Etappe des Asylverfahrens an einen sicheren Drittstaat überstellt werden (EuGH, Urt. v. 17.3.2016 – C-695/15 PPU (Mirza/Ungarn), NVwZ 2016, 753 ff).
[27] Vgl. Hruschka/Maiani, in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3rd Ed. 2022, Chapter 23, Art. 3, Rn. 17 f.; EuGH, NVwZ 2016, 753.
[28] Der Drittstaat muss demnach die “Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten” sicherstellen. Damit ein Staat außerhalb der Europäischen Union als sicherer Drittstaat eingestuft wird, bedarf es eines Gesetzes, dem der Bundesrat zustimmen muss (Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG).
[29] Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1996 entschieden, dass eine Verweisung auf sichere Drittstaaten und eine „normative Vergewisserung“ gemäß Art. 16a Abs. 2 der Verfassung entspricht: „Diese normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt; damit entfällt das Bedürfnis, ihm Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu bieten. Insoweit ist die Sicherheit des Flüchtlings im Drittstaat generell festgestellt.“ BVerfG Urt. v. 14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93, juris Rn. 181, NVwZ 1996, 700; vgl. dazu vertiefend Moll/Pohl, ZAR 2012: 102 ff.
[30] Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag 2015: Ausarbeitung. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Asylverfahren in Drittstaaten. Berlin (https://www.bundestag.de/resource/blob/405480/b2a14865fb4ccff21e61853ccd7bb892/wd-3-058-15-pdf-data.pdf), S. 8–9.
[31] Thym, Daniel 2017: Gutachterliche Stellungnahme für das Bundesministerium des Innern. Mindestanforderungen des EU-Primärrechts und des Flüchtlingsvölkerrechts an sekundärrechtliche Regelungen, die vorsehen, Asylanträge mit Blick auf Schutz und Unterkunftsmöglichkeiten in dritten Staaten (Transitstaaten, sonstige Staaten) oder einzelnen Teilgebieten solcher Staaten ohne Sachprüfung abzulehnen, Konstanz (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3163015), S. 51–52.
[32] Vgl. Angenendt et al. 2024, S. 5.
[33] Vgl. Angenendt et al. 2024, S. 5–6.
[34] Vgl. zu den folgenden angegebenen Mindeststandards auch Thym 2017, S. 15, 17, 23, 29, 31, 34.
[35] Das Verbot der Ausweisung und Zurückweisung von Flüchtlingen in einen Staat, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer politischen Überzeugung, Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in Gefahr wäre, ist sehr klar auch in Art. 78 Abs. 1 AEUV vermerkt.
[36] Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, Note on International Protection, 54th session, UN doc A/AC.96/975 of 2 July 2003, Rn. 14.
[37] Artikel 3 EMRK verbietet zudem eine Rückführung wegen unzureichender Lebensbedingungen oder Gesundheitsversorgung in außergewöhnlichen Umständen, in denen „the humanitarian grounds against the removal are compelling“, unter Einschluss einer drastischen und schnellen Verschlechterung der Gesundheitssituation, die mit schweren Leiden einhergeht (wie es auch in § 60 AufenthG geregelt ist). Besonderer Klärungsbedarf besteht für die Lage von Personen, die keinen Schutzstatus erlangen, aber auch nicht zurückgeführt werden können (nach deutschem Recht Duldungsfälle). Das gleiche gilt für die Anforderungen an die Rückführungen in den Heimatstaat.
[38] Thym 2017, S. 31.
[39] Die Formulierung erinnert teilweise an die Regelung in § 3e zum Internen Schutz. Dort heißt es: „(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.“ Auch diese Regelung lässt erkennen, dass bestimmte elementare Interessen des Antragstellers bei der Zuweisung eines Schutzortes ein höheres Gewicht besitzen können.
[40] Dazu Kluth, ZAR 2009: 381 ff.
[41] Das Bundesverfassungsgericht definiert die Menschenwürde nach der sog. Objektformel: Danach darf der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht und nicht einer Behandlung ausgesetzt werden, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. BVerfGE 50, 166).
[42] Endres de Oliveira, Pauline/Feith Tan, Nikolas 2023: External Processing. A Tool to Expand Protection or Further Restrict Territorial Asylum?, Migration Policy Institute. Washington D. C. (https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2023-03/mpi-oliveira-tan_asylum-external-processing_final.pdf); s. auch Angenendt et al. 2024: 7.