Externalisierung von Asyl

Ein Kompendium wissenschaftlicher Erkenntnisse

Die Externalisierung von Asylverfahren in Drittstaaten: menschenrechtliche Risiken, praktische Hürden, außen- und entwicklungspolitische Kosten

Nadine Biehler, Raphael Bossong, David Kipp und Anne Koch, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) [1]

 

In vielen europäischen Ländern steigt sowohl die Zahl der Asylanträge als auch die Unterstützung für rechtspopulistische Parteien weiter an. Initiativen wie der britische Ruanda-Plan der noch amtierenden britischen Regierung und das Abkommen der italienischen Regierung mit Albanien sind zu einem Fixpunkt der politischen Debatten zum Umgang mit irregulärer Migration geworden. Während vergleichbare Vorschläge im europäischen Kontext in der Ver­gangenheit nie über das Stadium abstrakter Ideen hinausgingen, wird nun zunehmend über die konkrete Umsetzung verhandelt. Dem entgegen stehen zahlreiche rechtliche und normative Einwände sowie praktische Hürden. Die vorliegenden Vorschläge zur Aus­lagerung drohen den internationalen Flüchtlingsschutz in Frage zu stellen und den außen- und entwicklungspolitischen Interessen Deutschlands und der Europäischen Union zu schaden.

 

Die Idee einer Externalisierung von Asylverfahren oder Schutz in Drittstaaten ist nicht neu. Australien führte 2001 die „Pazifische Lösung“ ein, bei der Bootsflüchtlinge in Lager nach Papua-Neuguinea und Nauru gebracht wurden, um Asylanträge im eigenen Land zu verhindern. Dies reduzierte irreguläre Überfahrten erheblich, führte jedoch zu schweren Menschenrechtsverletzungen.[2] Ungeachtet dessen schlug Großbritannien 2003 vor, Asylsuchende in „regionale UN-Schutzgebiete“ zu überstellen.[3] 2004 regte der deutsche Innenminister Otto Schily ähnliche Zentren in Nordafrika an.[4] Auch der Europäische Rat beschäftigte sich 2018 mit „Ausschiffungsplattformen“.[5] Diese Ansätze scheiterten jedoch im europäischen Kontext an grundsätzlichen Zweifeln an ihrer Realisierbarkeit und der Vereinbarkeit mit völker- und verfassungsrechtlichen Normen.

Ungeachtet dessen hatten die deutschen Regierungsparteien bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, zu prüfen, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Drittstaaten möglich sei.[6]  Die Vorstellung eines umfassenden kritischen Berichts im Juni 2024 zu dieser Frage, der auf umfassenden Anhörungen von unabhängigen Sachverständigen, internationalen Organisationen und Vertretern aus Drittstaaten beruht, stellt keineswegs den Schlusspunkt dieser Debatte dar. Vielmehr bekräftigte die kurz darauf tagende Ministerpräsident:innenkonferenz, dass die Bundesregierung weiter an der Ausarbeitung konkreter Modelle zur Auslagerung von Asylanträgen arbeiten sollte.[7]

Auf europäischer Ebene sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Sowohl der Brief der Innenminister aus fünfzehn EU-Staaten als auch die Ergebnisse der Europawahl im Juni 2024, bei denen in Deutschland insbesondere rechtspopulistische Parteien deutlich hinzugewonnen haben, erhöhen den Druck, Modelle zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten in die Praxis umzusetzen.[8] Die nächste EU-Kommission wird sich mit diesen Forderungen auseinandersetzen, mindestens im Rahmen der 2025 vorgesehenen Prüfung der neuen Bestimmungen zu sicheren Drittstaaten im Rahmen der novellierten Asyl-Verfahrensverordnung.

 

Verschiedene Ansätze der Auslagerung

Alle bestehenden Vorschläge zur Externalisierung von Asylverfahren weisen umfangreiche rechtliche und praktische Schwierigkeiten auf. Für eine systematische Einordnung und Kritik ist eine Einordnung in unterschiedliche Typen hilfreich (vgl. Tabelle). Obwohl sie in der aktuellen Debatte häufig mit Externalisierungsmodellen vermischt werden, zählen schutzorientierte Konzepte wie Resettlement, humanitäre Aufnahmeprogramme oder Botschaftsasyl nicht dazu. Bei diesen Varianten können Schutzgesuche bereits im Ausland, meist dem Erstaufnahmeland gestellt werden, ohne dass eine vorherige Einreise in die EU oder nach Deutschland notwendig wird.

 

Typ 1: Extraterritoriale Asylverfahren

Hierbei handelt es sich um die räumliche Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten, während das Recht des Staates, der die Externalisierung betreibt, weiterhin angewandt wird. Ein bekanntes historisches Beispiel ist die „Pacific Solution“, die Australien von 2001 bis 2007 in Nauru und Papua-Neuguinea praktizierte. Flüchtlinge mit positivem Asylbescheid sollten nach Australien gebracht werden, es fand aber auch eine Übersiedlung in Drittstaaten statt.[9] Das kürzlich zwischen Italien und Albanien ausgehandelte Abkommen über den Betrieb von zwei Aufnahmezentren in Albanien sieht ebenfalls nur eine räumliche Auslagerung der Asylverfahren vor, wobei italienisches Recht gilt und Schutz nur in Italien gewährt wird.[10]

 

Typ 2: Übertragung der Verantwortung für Verfahren und Schutz

Dieses Modell sieht sowohl die räumliche als auch die rechtliche Verlagerung der Asylverfahren in Drittstaaten vor. Ein Beispiel ist das Abkommen zwischen Großbritannien und Ruanda:[11] Asylsuchende, die aus Großbritannien nach Ruanda verbracht werden sollen, fallen unter das dortige Asylrecht und erhalten bei positivem Bescheid dort Schutz. Dies zieht erhebliche Anforderungen an das Asylsystem des Drittstaates nach sich. Ähnlich waren die von 2019 bis 2021 laufenden Asyl-Kooperationsabkommen der USA mit El Salvador, Guatemala und Honduras konstruiert, wobei die Verantwortung für Asylverfahren und Schutz vollständig auf den Partnerstaat übertragen werden sollte.[12]

 

Typ 3: Rücküberstellung in Transitstaaten

Ein dritter Ansatz, exemplifiziert durch die EU-Türkei-Vereinbarung, umfasst Regelungen zur Rücküberstellung von Schutzsuchenden in zuvor durchquerte Transitstaaten. Die Kooperation basiert auf der Annahme, dass im Transitstaat adäquate Schutzvoraussetzungen gegeben sind. Wie Asylverfahren ausgestaltet und welche Grundrechte gewährleistet werden, wird meist nicht vertraglich festgehalten. Die Zustimmung des Transitstaates wird durch verschiedene Anreize erkauft: So war bei der EU-Türkei-Erklärung ursprünglich vorgesehen, dass europäische Mitgliedstaaten für jede von der Türkei zurückgenommene Person einen anerkannten Flüchtling aus der Türkei übernehmen würden.[13] Zudem stand die Aufhebung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger:innen zur Debatte. Letztlich war die umfangreiche finanzielle Unterstützung der EU für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei ausschlaggebend, während viele weitergehende Aspekte der Übereinkunft nie eingelöst wurden.

 

 

Ansätze zur Auslagerung von Schutz und Asylverfahren
Ansatz / TypBeteiligte Staaten (Zielland / Drittstaat)Stand der Umsetzung
(am 26.2.2024)
Ort / Recht des
Schutzverfahrens
Verantwortung /
Ort nach Schutz-gewährung
Verantwortung / Ort für abgelehnte Antragssteller
„Pacific
Solution“ / Typ 1
Australien & Nauru/Papua-Neuguinea (PNG)2001–2007PNG & Nauru /
australisches Recht
Australien /
Resettlement in Drittstaaten (u.a. Neuseeland, Schweden, Kanada)
Australien / meist dauerhafte Inhaftierung in PNG & Nauru
„Protokoll zur Stärkung migrationsbezogener Zusammenarbeit“ / Typ 1Italien &
Albanien
ratifiziert, geplante Laufzeit 2024–2029Albanien / italienisches RechtItalien (Aufnahme anerkannter Schutzsuchender)Italien
„Offshore Processing“ /
Typ 2
Australien /
Nauru & PNG
Seit 2012, derzeit pausiertPNG & Nauru /
einheimisches Recht
Resettlement in div. Drittstaaten (USA, Kambodscha)Australien / meist dauerhafte Inhaftierung auf PNG & Nauru
US Asylum Cooperation Agreements /
Typ 2
USA / Guatemala & Honduras & El Salvador2019 bis 2021, ohne Umsetzung in Honduras und El SalvadorJeweils sicheres Drittland, Guatemala für Menschen aus Honduras und El SalvadorJeweils sicheres Drittland, Guatemala für Menschen aus Honduras und El SalvadorJeweils sicheres Drittland, Guatemala für Menschen aus Honduras und El Salvador
UK-Ruanda-Vertrag und Dänisches Gesetz L 226 /
Typ 2
UK (und Dänemark) & RuandaNoch im Gesetzgebungsprozess, geplante Laufzeit bis April 2027Ruanda / ruandisches RechtRuandaRuanda
„EU-Türkei-Erklärung“ / Typ 3EU & TürkeiSeit 2016, teilweise umgesetztTürkei / türkisches Recht für Syrer:innen; kein geregeltes Schutzverfahren für andere GruppenTürkei, punktuell Übersiedlung besonders vulnerabler Personen in EU-StaatenTürkei / vielfach zwangsweise Rückführungen in Drittstaaten (u.a. Syrien, Iran)

 

Völkerrechtliche und menschenrechtliche Hürden

Die Auslagerung staatlicher Verantwortung für Asylverfahren und Schutzgewährung ist schwer mit dem Völkerrecht vereinbar.[14] Unterzeichnerstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 sind verpflichtet, im Geist internationaler Zusammenarbeit und Solidarität am Schutz von Flüchtlingen mitzuwirken.[15] Dies bedeutet zwar nicht, dass allen Schutzsuchenden territoriales Asyl gewährt werden muss – Resettlement, sichere Drittstaatenregelungen und ähnliche Mechanismen sind ebenfalls möglich. Dennoch verlangt die GFK von den Vertragsstaaten, bei allen Schutzvarianten gewisse Standards einzuhalten. Dazu gehören die Einhaltung des Non-Refoulement-Gebots (Art. 33) und die Gewährung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhaberechte. Auch die UN-Antifolterkonvention verbietet in Artikel 3 die Ausweisung, Auslieferung oder Rückführung von Personen in Länder, in denen ihnen Folter oder unmenschliche Behandlung drohen könnten.

Selbst bei einer räumlichen Verlagerung jenseits Europas bleibt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bindend. Alle Vertragsstaaten müssen mindestens ab dem Punkt, an dem sie „effektive Kontrolle“ über eine betroffene Person ausüben, ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen einhalten.[16] Dies gilt für Asylsuchende, die bereits das Territorium eines EMRK-Staats erreicht haben, sowie für Menschen, die von staatlichen Behörden eines EMRK-Vertragsstaats im Rahmen von Seenotrettungseinsätzen geborgen werden.[17]

Die scharfe Kontroverse im Vereinigten Königreich und Urteile des UK Supreme Courts zeigen, dass die EMRK ein zentrales rechtliches Hindernis bei der Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda darstellt. Daher hat die noch amtierende konservative britische Regierung Ruanda aufgrund neuer gesetzlich festgelegter Regelungen zum Umgang mit überstellten Asylbewerbern für sicher erklärt.[18] Nach den anstehenden Parlamentswahlen am 4. Juli 2024 wird zwar ein Wechsel zur Labour Partei erwartet, welche von diesen Plänen erklärtermaßen Abstand nehmen will. Die Debatte in Deutschland und anderen europäischen Staaten beschäftigt sich dessen ungeachtet weiter mit dem „Ruanda Modell“.[19]

Neben grundlegenden menschenrechtlichen Bedenken bestehen bei den vorliegenden Externalisierungsplänen große rechtliche Leerstellen. So ist unzureichend geregelt, was mit Menschen geschieht, deren Asylgesuch abgelehnt wird. Ihnen und ihren Kindern droht, dass sie im Aufnahmeland bzw. Drittland undokumentiert und damit illegal bleiben oder staatenlos werden. Das unterzeichnete Abkommen zwischen Großbritannien und Ruanda sieht zwar vor, dass den „umgesiedelten Personen“ Bewegungsfreiheit gewährt werden soll und dass sie Ruanda verlassen können; es wird jedoch nicht geklärt, mit welchen Personaldokumenten dies erfolgen soll. In der Praxis erfüllen Flüchtlingsdokumente nur eingeschränkt die Funktion nationaler Reisepässe und können keine reguläre internationale Mobilität garantieren.[20]

 

Mangelnde oder mangelhafte Partner

Dem großen Interesse wohlhabender Zielländer an der Auslagerung ihrer Schutzverantwortung steht ein Mangel an kooperationswilligen Drittländern gegenüber. Die australische Regierung konnte politisch und wirtschaftlich schwache Staaten wie Nauru und Papua-Neuguinea zur Zusammenarbeit bewegen und in begrenztem Umfang auch Kambodscha im Bereich Resettlement einbinden. Die Situation in Europa ist damit jedoch nicht vergleichbar. Abgesehen von Ruanda und Albanien haben europäische Staaten keine Fortschritte mit ähnlichen Vorhaben erzielt. Der albanische Premierminister Edi Rama betonte zudem, dass die Vereinbarung mit Italien ein Einzelfall bleiben wird.[21] Die 55 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union (AU) lehnten 2019 extraterritoriale Aufnahmezentren auf ihrem Kontinent ab, oft aufgrund fehlender Zustimmung der Öffentlichkeit in den potenziellen Partnerländern.[22]

Autokratische Regime sind zwar weniger auf öffentliche Zustimmung angewiesen, sie setzen jedoch ihre Interessen gegenüber europäischen Regierungen sehr selbstbewusst durch. Es ist unwahrscheinlich, dass Hilfsgelder allein ausreichen, um diese Länder zu einer intensiven migrations- und asylpolitischen Kooperation zu bewegen. Der Fall der EU-Türkei-Erklärung zeigt, dass starke politische Anreize und Eigeninteressen des Partnerstaats zusammenkommen müssen: 2016 musste die Türkei bereits eine große Zahl syrischer Geflüchteter versorgen, weshalb europäische Unterstützung willkommen war.

Weitere Arrangements für die innereuropäische Externalisierung von Asylverfahren nach dem Vorbild des Italien-Albanien-Abkommens könnten potenziell einige der Probleme lösen, die bei der Auslagerung in weiter entfernte Drittstaaten bestehen. Die Parlamente beider Länder hatten dem bilateralen Abkommen zugestimmt und wurde vom albanischen Verfassungsgericht sowie der EU-Kommission als unbedenklich beurteilt.[23] Zudem sind beide Länder Vertragsstaaten der EMRK. Italien bleibt verantwortlich für die Durchführung der Asylverfahren von Personen, die durch italienische Schiffe in ein Lager in Albanien gebracht werden. EU-rechtliche Standards, wie Rechtsmittel, Anhörungs- und rechtliche Unterstützungsmöglichkeiten, sollen eingehalten werden.

Dennoch gibt es schwerwiegende Zweifel, ob dieses Modell mit dem europäischen Recht in Einklang steht. Die italienischen Pläne sehen vor, Männer, die aus Seenot gerettet und als nicht-vulnerabel eingestuft wurden, direkt nach Albanien zu bringen. Ob die Vulnerabilität auf Schiffen angemessen bewertet werden kann, ist fraglich. Die Zulässigkeit der Haft ist ebenfalls ungeklärt. Die Inhaftierung von Asylsuchenden während ihres Verfahrens oder nach Ablehnung ist zwar nicht grundsätzlich verboten, wird aber von der EU als „letztes Mittel“ betrachtet und von Nichtregierungsorganisationen kritisiert.[24] Das italienische Modell sieht jedoch vor, Asylsuchende in Albanien für die Dauer des Verfahrens in Haft zu nehmen, was umso problematischer wird, je länger die Verfahren dauern. Auf Deutschland übertragbar wäre das Albanien-Modell in seiner derzeitigen Form in keinem Fall, da umfassende rechtliche Vorprüfungen vor der Auslagerung nur dadurch umgangen werden, dass die Betroffenen vor Betreten des Staatsgebiets (auf hoher See) aufgegriffen werden.

Ein weiteres Problem betrifft die Rückführung abgelehnter Asylsuchender in ihre Herkunftsländer. Es ist unklar, wer für die Rückkehr zuständig ist und wer sie durchsetzt, falls eine freiwillige Rückkehr nicht erfolgt. Auch die Folgen, wenn eine Rückkehr nicht möglich ist, sind ungeklärt. Da in der EU nur ein Bruchteil der abgelehnten Asylsuchenden freiwillig oder unter Zwang zurückkehrt, ist zu erwarten, dass dies auch in Drittstaaten der Fall sein wird. Die Betroffenen könnten lange Zeit in haftähnlichen Bedingungen verbringen und letztlich doch von Italien übernommen werden müssen.

 

Hohe Kosten, zweifelhafte Abschreckungseffekte und Skalierbarkeit

Beschränkt man sich auf die finanzielle Dimension, so ist das Kosten-Nutzen-Kalkül der bisherigen Externalisierungspläne kaum nachvollziehbar. Australien gab 2023 etwa 485 Millionen Dollar aus, um Aufnahmezentren auf Nauru zu unterhalten, die nur 22 Personen beherbergen[25]. Die britische Regierung hat bereits 240 Millionen Pfund (280 Mio. Euro) nach Ruanda überwiesen, weitere Zahlungen von mindestens 150 Millionen Pfund sollen bis 2027 folgen.[26] Bisher wurde jedoch keine einzige schutzsuchende Person überstellt, bis 2027 wären maximal 1.000 Überführungen vorgesehen.[27] In jedem Fall erfordert das britische Abkommen mit Ruanda für jede überstellte Person eine individuelle Genehmigung der ruandischen Behörden. Eine automatische oder gar flächendeckende Umlenkung von Schutzsuchenden, die per Boot angelandet sind, wäre keineswegs gesichert.

Im gesamteuropäischen Kontext, stellt sich die Frage der Skalierbarkeit noch stärker. Bei EU-weit über einer Million Asylanträgen in 2024[28] ist nicht darstellbar, dass ein substanzieller Anteil dieser Verfahren externalisiert werden könnte.  Die italienische Regierung veranschlagt etwa 650 Millionen Euro für ein fünfjähriges Programm mit 3.000 Plätzen für ausschließlich männliche Asylbewerber.[29] Selbst bei der kaum realistischen Annahme, dass alle Verfahren innerhalb eines Monats abgeschlossen werden und eine sofortige Rückführung erfolgt, könnten in Albanien maximal 36.000 Anträge pro Jahr geprüft werden.[30] Zentral für die Funktionsfähigkeit der Externalisierungspläne ist daher das Kalkül der Abschreckung. Abschreckung durch negative Sanktionen wirkt allerdings nur dann, wenn diese Sanktionen verlässlich eintreten und streng sind; im Idealfall sollten sie zudem mit Anreizen für gewünschte Verhaltensweisen verbunden.[31] Bei der von einzelnen europäischen Staaten geplanten Externalisierung von Asylverfahren ist dies offensichtlich nicht der Fall. Mit Blick auf die sehr langen und nicht flächendeckend zu kontrollierenden Land- und Seegrenzen der gesamten Schengenzone bestehen zudem zahlreiche alternative Routen, auf die sich Fluchtbewegungen verlagern können.

 

Fazit

Es gibt keine Belege dafür, dass die mit einer Externalisierung verbundenen Hoffnungen auf weniger Todesfälle an den EU-Außengrenzen und auf eine Zerschlagung des Geschäftsmodells von Schleppern und Schleusern realistisch sind. Außer dem Sonderfall Australien mit seiner einzigartigen geografischen Lage und insgesamt geringeren Betroffenheit durch regionale Kriege und Krisen gibt es kein Beispiel für den Erfolg einer solchen Politik. Die EU-Vereinbarung mit der Türkei hat zwar in Kombination mit anderen Maßnahmen zu einer Reduktion der ungeregelten Wanderung auf der östlichen Mittelmeerroute beigetragen. Die Zahlen syrischer Schutzsuchender in der EU sind aber weiterhin hoch, und systematische Push-Backs haben zugenommen. Die bisherigen Externalisierungsvorschläge würden vielfach gegen bestehendes Recht auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene verstoßen und unrealistische politische Erwartungen wecken.

In Deutschland dominieren aktuell Ansätze zur koordinierten Verlagerung von Asylverfahren („Typ 1“) und/oder Schutz („Typ 2“) die Debatte und durchlaufen Prüfverfahren. In der Praxis sind aber weitere Vereinbarungen vom „Typ 3“, also für koordinierte Rücküberstellungen in Transitstaaten, die wahrscheinlichste Entwicklung – sofern diese zur Kooperation bereit sind. Im Kontext der aktuellen Diskussion um die Abschiebung afghanischer Staftäter und Gefährder könnte dies auch die Einrichtung so genannter „return hubs“ in Drittstaaten wie Usbekistan umfassen.

Grundsätzlich wird bei all diesen Externalisierungsplänen die im Globalen Flüchtlingspakt betonte Verantwortungsteilung immer schwieriger, wenn wohlhabende EU-Mitgliedstaaten sich aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, während von Entwicklungsländern erwartet wird, Menschen auf der Flucht aus ihrer Nachbarschaft aufzunehmen. Das Ungleichgewicht bei der Verantwortungsteilung zwischen Industriestaaten und Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen würde vergrößert – obwohl entwicklungspolitisch eine Verringerung dieser Kluft angestrebt wird.

 

Fußnoten

[1] Dieser Beitrag beruht auf Angenendt, Steffen; Biehler, Nadine; Bossong, Raphael; Kipp, David; Koch, Anne (2024): Die Externalisierung des europäischen Flüchtlingsschutzes. SWP Aktuell, 2024/12. https://www.swp-berlin.org/publikation/die-externalisierung-des-europaeischen-fluechtlingsschutzes

[2] Andrew & Renata Kaldor Centre for International Refugee Law (2018). Refugee Status Determination on Manus Island. Sydney: Australia´s Global University.

[3] Milne, Seumas and Alan Travis, “Safe havens plan to slash asylum numbers” The Guardian, 5 February 2003, available at https://www.theguardian.com/society/2003/feb/05/asylum.immigrationasylumandrefugees

[4] Prantl, Heribert, SZ-Interview mit Otto Schily, 17 May 2010, https://www.sueddeutsche.de/politik/sz-interview-mit-otto-schily-ich-finde-nichts-anstoessiges-daran-menschen-zurueckzufuehren-1.305629

[5] Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, “EU-Kommission konkretisiert Konzepte zur Ausschiffung von Migranten auf beiden Seiten des Mittelmeers“, 24 July 2018, https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-kommission-konkretisiert-konzepte-zur-ausschiffung-von-migranten-auf-beiden-seiten-des-2018-07-24_de

[6] SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP (2021) Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021-2025, https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/

[7] Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 20. Juni 2024 in Berlin (2024). Vorläufiges Ergebnisprotokoll (Stand 20.06.2024), https://www.politico.eu/wp-content/uploads/2024/06/20/20240620_vorl._EP_iE_Neu.clean_.pdf

[8] Joint Letter to the European Commission on new solutions to address irregular migration to Europe, 15 May 2024, available at https://uim.dk/media/12635/joint-letter-to-the-european-commission-on-new-solutions-to-address-irregular-migration-to-europe.pdf

[9] UNHCR, „Australia’s “Pacific Solution” draws to a close“, 11 February 2008, https://www.unhcr.org/news/australias-pacific-solution-draws-close

[10] Protocol between the Government of the Italian Republic and the Council of Ministers of the Albanian Republic (2023).

[11] Agreement between the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the Government of the Republic of Rwanda for the Provision of an Asylum partnership to strengthen shared international Commitments on the Protection of Refugees and Migrants (2024).

[12] U.S. Department of State (2021). Suspending and Terminating the Asylum Cooperative Agreements with the Governments El Salvador, Guatemala, and Honduras, Antony Blinken [Press Statement]. Available at: https://www.state.gov/suspending-and-terminating-the-asylum-cooperative-agreements-with-the-governments-el-salvador-guatemala-and-honduras/ ; U.S. Department of Homeland Security (2019). Fact Sheet: DHS Agreements with Guatemala, Honduras, and El Salvador. Available at: https://www.dhs.gov/sites/default/files/publications/19_1028_opa_factsheet-northern-central-america-agreements_v2.pdf .

[13] European Council (2016). EU-Turkey Statement, 18.03.2016. Available at:  https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2016/03/18/eu-turkey-statement/.

[14] Cantor, D.J., Tan, N.F., Gkliati, M., Mavropoulou, E., Allinson, K., Chakrabarty, S., Grundler, M., Hillary, L., McDonnell, E., Moodley, R., Phillips, S.E., Pijnenburg, A., Reyhani, A., Soares, S., & Yacoub, N. (2022). Externalisation, Access to Territorial Asylum, and International Law. International Journal of Refugee Law, 34:1, 120-156.

[15] UN High Commissioner for Refugees (2021). UNHCR Note on the “Externalization” of International Protection. Available at: https://www.refworld.org/policy/legalguidance/unhcr/2021/en/121534.

[16] Den Heijer, M. (2013) Reflections on Refoulement and Collective Expulsion in the Hirsi Case. International Journal of Refugee Law, 25:2, 265–290.

[17] Moreno-Lax V. (2012). Hirsi Jamaa and Others v Italy or the Strasbourg Court versus Extraterritorial Migration Control?, Human Rights Law Review, 12:3, 574–598.

[18] UK Home Office, “The Safety of Rwanda (Asylum and Immigration) Act 2024“, 12 December 2023, available at https://www.gov.uk/government/collections/the-safety-of-rwanda-asylum-and-immigration-bill

[19] Deutscher Bundestag, Antrag der Fraktion der CDU/CSU „Schutz durch Europa muss nicht heißen Schutz in Europa – Für mehr Begrenzung und Humanität im Asylrecht“, 25 June 2024, available at https://dserver.bundestag.de/btd/20/119/2011949.pdf

[20]  Davidoff-Gore, S. (2024). The Mobility Key Realizing the Potential of Refugee Travel Documents. Washington: Migration Policy Institute.

[21] Marten Dunai (2024). Albanian PM says migration deal with Italiy is „one-off“, Financial Times, 27.5.2024, https://www.ft.com/content/c9d2aebd-4233-42bd-b1b7-f8c9fb3ff22d

[22] Boffey, Daniel (2024). African Union seeks to kill EU plan to process migrants in Africa, The Guardian, 24.2.2019, https://www.theguardian.com/world/2019/feb/24/african-union-seeks-to-kill-eu-plan-to-process-migrants-in-africa

[23] De Bellis, M. (2024). Italy’s arbitrary Albania detention deal will harm EU, EU Observer, 12.02.2024. Available at: https://euobserver.com/opinion/158068

[24] Mentzelopoulou, M. M., Barlaoura, N. (2023). Detention of Migrants: A Measure of Last Resort, Brussels: European Parliamentary Research Service.

[25] Karp, P., Sheperd, T. (2023). Nauru offshore processing to cost Australian taxpayers $485m despite only 22 asylum seekers remaining. The Guardian, 23.05.2023. Available at: https://www.theguardian.com/australia-news/2023/may/23/nauru-offshore-detention-immigration-processing-to-cost-australia-485m-22-asylum-seekers

[26] UK National Audit Office (2024). Report: Value for Money – Investigation into the costs of the UK-Rwanda Partnership. Available at: https://www.nao.org.uk/reports/investigation-into-the-costs-of-the-uk-rwanda-partnership/

[27] Walsh, P. W. (2024). Q&A: The UK’s policy to send asylum seekers to Rwanda. Available at: https://migrationobservatory.ox.ac.uk/resources/commentaries/qa-the-uks-policy-to-send-asylum-seekers-to-rwanda/

[28] European Union Agency for Asylum (2023). Latest Asylum Trends 2023, https://euaa.europa.eu/latest-asylum-trends-2023

[29] RFI (2024). Albania’s controversial migrant deal with Italy sparks anger on all sides, RFI International, 30.01.2024, https://www.rfi.fr/en/international/20240130-albania-s-controversial-migrant-deal-with-italy-sparks-anger-on-all-sides

[30] Euronews, AP (2024). Albanian parliament approves controversial deal to hold migrants for Italy, Euronews, 22.02.2024. Available at: https://www.euronews.com/2024/02/22/albanian-parliament-approves-controversial-deal-to-hold-migrants-for-italy

[31] Rosina, Matilde (2022). The Criminalisation of Irregular Migration in Europe: Globalisation, Deterrence, and Vicious Cycles. Cham: Palgrave Macmillan