Victoria Rietig, Leiterin des Migrationsprogramms, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
Zusammenfassung:
- Die Auslagerung von Asylverfahren ist grundsätzlich rechtlich möglich, aber praktisch schwierig und teuer. Alle bekannten Modelle (Maximales Modell, Mittleres Modell, Unterschlupf-Modell und Rücküberstellungsmodell) bringen hohe finanzielle und geopolitische Kosten bei oft eher geringem Nutzen. Insbesondere das politische Versprechen, dass die Auslagerung von Asylverfahren einen nennenswerten Abschreckungseffekt bringen könnte, ist unwahrscheinlich.
- Die Bundesregierung sollte daher diejenigen Modelle der Drittstaatenlösung links liegen lassen, die vor allem Rhetorik und Augenwischerei sind – insbesondere das Maximale Modell, zu dem UK-Ruanda gehört.
- Stattdessen sollte die Bundesregierung 1. eine Huckepack-Strategie verfolgen, bei der sie bestehende Modelle, insbesondere das Mittlere Modell, beobachtet und ggf. aufspringen sollte, und 2. aus den Erfahrungen der USA mit digitaler Asylantragstellung lernen und eine Beteiligung an den sog. Safe Mobility Offices (einer neuen Initiative von USA, Kanada und Spanien) in Betracht ziehen. Kosten und Nutzen würden so in einem angemesseneren Verhältnis stehen. Das wäre im Sinne aller deutschen Steuerzahler – egal welcher politischen Richtung.
MPK-Beschluss vom 6. November 2023:“Die Bundesregierung wird prüfen, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.”
Dieser Beitrag beantwortet drei Fragen, um den Prüfauftrag der Bundesregierung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unterstützen und praktische Empfehlungen zum weiteren Vorgehen zu geben.
- Ist es rechtlich und praktisch möglich Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen?
- Welche Belege gibt es für die abschreckende Wirkung von Externalisierungsmodellen, die einige Politiker und Experten versprechen?
- Was sollten die nächsten Schritte der Regierung sein, wenn sie Drittstaatenlösungen verfolgen will?
1. Rechtlich möglich, praktisch schwierig: Das Prinzip Hoffnung bringt hohe Kosten bei geringem Nutzen
Die erste Frage (Ist es rechtlich und praktisch möglich Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen?) kann mit einem klaren Ja beantwortet werden. Es kommt aber auf das Modell an. Der Ausdruck „Drittstaatenlösung“ beinhaltet völlig unterschiedliche Modelle. Für die deutsche Debatte sind bisher vier Modelle mit unterschiedlicher Verantwortungsteilung relevant:
Verantwortungsteilung | Beispiele[1] | |
Maximales Modell | Unterbringung, Schutzprüfung und -gewährung im Drittland nach Ankunft an der Grenze des Ziellandes | 2022 UK-Ruanda-Vereinbarung 2019 USA-Guatemala Asylum cooperative agreement 2013 Israel-Ruanda-Vereinbarung 2012 Australiens Pazifische Lösung mit Papua Neu Guinea und Nauru |
Mittleres Modell | Unterbringung im Drittland nach oder vor Ankunft an der Grenze des Ziellandes, aber Schutzprüfung und -gewährung im Zielland | 2023 Italien-Albanien-Vereinbarung 2022 USA-Kolumbien/Costa Rica/Guatemala/Ecuador Safe Mobility Offices 2019 USA-Mexiko Migrant Protection Protocols |
Unterschlupf-Modell | Unterbringung im Drittland nach Evakuierung aus akuter Gefahr im Herkunftsland, aber Schutzprüfung und -gewährung im Zielland | 2021 USA Evakuierung von Afghanen in Balkanländer 2012 USA-Costa Rica Protection Transfer Arrangement |
Rücküber-stellungs-Modell | Unterbringung, Schutzprüfung und -gewährung im Zielland, aber direkte Rücküberstellung abgelehnter Asylbewerber in ein Transitland | 2016 EU-Türkei-Erklärung Bisher vergeblich angestrebte Kooperationen z.B. mit Tunesien, Marokko |
Rechtlich möglich sind alle vier Modelle, aber das Maximale Modell, das derzeit einige Parteien als Ziel verfolgen, funktioniert innerhalb des geltenden Rechts vermutlich kaum, da die wenigsten Partnerländer die hohen Schutzstandards der EMRK erfüllen können. Legal weniger angreifbarer und daher machbarer ist das Mittlere Modell, bei dem das Partnerland diese Standards nicht erfüllen muss, da es explizit nicht für die Schutzprüfung und -gewährung zuständig ist, sondern lediglich für die zeitweise Unterbringung.
Die praktische Umsetzung bringt jedoch selbst bei rechtlich machbaren Modellen hohe finanzielle und geopolitische Kosten. Nicht nur das Finden der Partner, das in der deutschen Debatte oft als die zentrale Herausforderung genannt wird, ist schwierig – das Halten der Partner ist sogar noch schwieriger. Dies gelingt selten länger als ein paar Monate oder Jahre, selbst bei hohen finanziellen Zahlungen, politischem Druck oder Zugeständnissen. Beispiele hierfür sind das Versanden der EU-Türkei-Erklärung, des Asylum Cooperative Agreement der USA und der Pazifischen Lösung Australiens. Die menschenrechtlichen Kosten sind zudem beträchtlich und auch finanzielle und Reputationskosten durch Gerichtsverfahren schlagen negativ zu Buche, wie gerade wieder im Vereinigten Königreich sichtbar.
Der Nutzen ist zudem oft gering. Denn angekündigt ist nicht umgesetzt: Oft schicken die Länder nach Ankündigungen der Kooperation und Beginn der Zahlungen keine einzige Person tatsächlich ins Drittland, wie bei UK-Ruanda und Italien-Albanien bis heute der Fall. Hier mag lediglich wahrgenommener Nutzen durch die rhetorische Härte der Ankündigung entstehen. Zudem besteht bei den Modellen, wo der Drittstaat nur die Unterbringung übernimmt, aber nicht die Verantwortung für die Rückkehr, der zentrale DNA-Fehler der scheiternden Rückkehr unvermindert weiter. Einige Politiker und Experten versprechen zwar, dass der zentrale Nutzen die Reduktion irregulärer Migration ist, die einträte, wenn Deutschland und Europa diese Modelle nur stringent genug umsetzten. Doch dieses Versprechen fußt eher auf Hoffnung als auf Erfahrung.
2. Das große Versprechen des Abschreckungseffekts ist unwahrscheinlich.
Die zweite Frage (Schreckt Externalisierung tatsächlich ab? Haben wir Belege für die abschreckende Wirkung von Externalisierungsmodellen, die Politiker und einige Experten versprechen?) muss mit eher nein beantwortet werden.
Als Belege für einen erfolgreichen Abschreckungseffekt sollen immer wieder Australiens Pazifische Lösung und die EU-Türkei-Erklärung dienen. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen verpasst den Erwartungen einen Dämpfer. Zwar ging die Umsetzung dieser Modelle mit weniger irregulären Ankünften einher, aber parallele Faktoren scheinen oft ausschlaggebender gewesen zu sein als die Drittstaatenlösung selbst.
a) Australien: Nicht Asylverlagerung, sondern boat turnbacks als entscheidender Faktor
Es ist ein weit verbreitetes, aber falsches Narrativ in Deutschland, dass Australien seine Asylverfahren nach Papua Neu Guinea und Nauru auslagerte und dann der erwünschten Reduktionseffekt irregulärer Bootsankünfte folgte. Die Fakten bestätigen dies nicht. Richtig ist hingegen, dass diese Ankünfte nach Umsetzen der sog. Pazifischen Lösung im Sommer 2012 nicht sanken, sondern stattdessen 2013 sogar auf ein Hoch von mehr als 20.000 stiegen. Sie sanken erst merklich ab Ende 2013 (um 99% auf weniger als 200 im gesamten Jahr 2014), nachdem eine neu gewählte Regierung die Auslagerung der Verfahren mit einer neuen Grenzkontroll-Politik namens Operation Sovereign Borders kombinierte, deren Kernstück das Aufhalten und Zurückdrängen der Boote auf hoher See nach Indonesien war.[1]
Die Lektion für Deutschland aus dem Fall Australiens sollte daher mitnichten sein, dass die Asylverfahrensverlagerung der entscheidende Faktor für die Migrationsreduktion war, sondern wohl eher die boat turnbacks zurück nach Indonesien, wo die Boote in der Regel abfuhren. Dies war nur durch die Kooperation Indonesiens und massiven Druck Australiens auf das Nachbarland möglich – und dadurch, dass Indonesien gegenüber Australien kaum Hebel hat und kein Paroli bieten kann. Das Gegenteil ist der Fall in Europa, wo die für Migration besonders wichtigen Nachbarländer wie etwa Marokko, Tunesien, Ägypten und die Türkei regelmäßig ihre Hebel gegenüber Europa nutzen.[2]
Australiens erfolgreiche Migrationsreduktion durch boat turnbacks passierte zudem nur auf einer einzigen Route über ein direktes Nachbarland, da es keine nennenswerten Ausweichrouten nach Australien gab und gibt. Dies ist für Deutschland und Europa nicht der Fall. Auch lagen die Zahlen der Ankünfte in Australien selbst zu ihrem Höhepunkt bei ein paar Zehntausend, im Gegensatz zu denen in Europa, die jedes Jahr bei Hunderttausenden oder über einer Million liegen. Fazit: Die Inselerfahrung Australiens als Blaupause für Europa nutzen zu wollen ist nicht erfolgversprechend.
b) EU-Türkei: Nicht nur Rücküberstellungen, sondern Balkanroutenschließung, bessere Lage in der Türkei und schlechtere in Griechenland als parallele Faktoren
Es ist richtig, dass nach der EU-Türkei-Erklärung die irregulären Ankünfte in Griechenland stark sanken und sogar über Jahre hinweg niedrig blieben. Doch wie im Falle Australiens trugen parallele Politiken zu dieser Reduktion bei und waren vielleicht sogar ausschlaggebender.
Erstens war die Balkanroute seit Ende 2015 immer stärker kontrolliert worden, so dass die Zahl der Menschen, die täglich in Griechenland ankamen, bereits von mehr als 10.000 im Oktober 2015 auf weniger als 5.000 im November und weniger als 1.000 Anfang März 2016 gefallen war. [3] Die Ankünfte waren also bereits vor der EU-Türkei-Erklärung substanziell gesunken. Zweitens wurde die Türkei durch die vielen Hilfsprogramme, die Europa mit erst drei und später sechs Milliarden Euro in der Türkei finanzierten, für die Syrer (die damals die Hauptgruppe der Ankommenden ausmachten) attraktiver. Auch erhielten sie Zugang zum Arbeitsmarkt, so dass sich auch ihre rechtliche Situation in der Türkei verbesserte. Drittens wurde gleichzeitig Griechenland unattraktiver, da es seit der Erklärung die Ankommenden nicht mehr für die Asylprüfung aufs Festland brachte, und so die Hotspots auf den Inseln noch überfüllter wurden.[4] Beispielsweise waren 18 Monate nach Beginn der EU-Türkei-Erklärung mehr als 13.000 Schutzsuchende auf den griechischen Inseln untergebracht – doppelt so viele wie vorgesehen. Vielleicht erklärt auch diese Überfüllung, dass im selben Zeitraum mehr als 10.000 Schutzsuchende mithilfe von geförderten Rückkehrprogrammen in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Das sind fünfmal mehr Menschen, die die Inseln über geförderte Rückkehr verließen, als die 2.000 abgelehnten Asylbewerber, die Griechenland in dieser Zeit wie in der Erklärung vorgesehen in die Türkei rücküberstellt hatte.[5] Die Wahrscheinlichkeit der Rücküberstellung (die Politiker gerne als das zentrale Element darstellen, das zur Migrationsreduktion führt) war also immer gering.
Diese drei Faktoren (Balkanroutenschließung, bessere Lage in der Türkei und schlechtere in Griechenland) trugen also zur Reduktion irregulärer Ankünfte auf der Ostroute nach Griechenland bei – aber sie verlagerten vermutlich auch einige auf die zentrale Mittelmeerroute. Die Ankünfte in Italien lagen Anfang 2016 vor der EU-Türkei-Erklärung meist unter 2.000 Personen pro Tag, stiegen aber danach ab Mai 2016 sprunghaft auf regelmäßig mehr als 5.000 an und verblieben mehr als ein Jahr lang (bis Juli 2017) auf diesem hohen Niveau. Es ist zwar möglich, dass das auffallende Sinken auf der Ostroute nichts mit dem auffallenden Ansteigen auf der zentralen Mittelmeerroute zu tun hatte, aber vermutlich konnten zumindest einige Personen auf die alternative Route ausweichen. Der Reduktionseffekt ist also wenigstens in Teilen ein Verlagerungseffekt.
3. Empfehlungen: USA-Erfahrungen nutzen und Huckepack-Strategie verfolgen
Die Antwort auf die dritte Frage (Was sollten wir tun, wenn wir unabhängig von der Wirksamkeit Drittstaatenlösungen verfolgen wollen? Was sollten die nächsten Schritte der Regierung sein?) besteht aus zwei Teilen: Wir sollten erstens den Blick weiten und neue Erfahrungen, v.a. die der USA, nutzen und zweitens eine Huckepack-Strategie verfolgen.
a) Erfahrungen der USA nutzen: Kleine Erfolge, Mut zum Experiment
Für Deutschland sind die Erfahrungen der USA relevanter als die der Insel Australiens und aktueller als die der EU-Türkei-Erklärung. Die USA sind das Land, das die längste Erfahrung mit Migrationsexternalisierung hat, da sie bereits seit den 1990er Jahren immer wieder Modelle mit verschiedensten Partnern ausprobiert hat. Trotzdem sind diese Erfahrungen in Deutschland kaum bekannt, so dass Lektionen verloren gehen.
Allein in den letzten fünf Jahren haben die USA drei verschiedene Modelle umgesetzt:
- Migrant Protection Protocols (auch bekannt als Remain in Mexiko): 2019 vereinbarten die USA mit Mexiko, dass sie Asylsuchende, die an der Grenze ankamen, für die Dauer des Asylverfahrens, für das die USA zuständig blieben, nach Mexiko zurückschicken konnten. Infolge dieser Politik nahm Mexiko mehr als 70.000 Menschen zurück. Derzeit ist die Politik zwar pausiert, aber eine Fortführung ist möglich und, je nach Wahlausgang im November, wahrscheinlich. Dieses Modell ist ähnlich der Italien-Albanien-Vereinbarung ein Mittleres Modell (vgl. Tabelle oben), da die Unterbringung der Menschen beim Partnerland liegt, aber die Verantwortung für das Asylverfahren beim Zielland verbleibt.
- Asylum cooperative agreement: Ebenfalls 2019 vereinbarten die USA mit Guatemala, dass sie Asylsuchende aus El Salvador und Honduras, die an der Grenze ankamen, nach Guatemala schicken konnten. Guatemala war dabei nicht nur für die Unterbringung der Menschen zuständig, sondern auch für das Asylverfahren, die Schutzvergabe und Rückkehr der abgelehnten Asylbewerber. Das Land nahm etwa 900 Personen im Rahmen dieser Politik zurück.
- Safe Mobility Offices: Seit dem Sommer 2022 arbeiten die USA mit mehreren lateinamerikanischen Ländern in der sog. Safe Mobility Initiative zusammen. Hierbei können Schutzsuchende bestimmter Länder bereits aus Kolumbien, Costa Rica, Guatemala oder Ecuador ihr Asylgesuch prüfen lassen, ohne zuvor an die US-Grenze gekommen zu sein. In den ersten sechs Monaten der Initiative stellten mehr als 100.000 Personen einen Prüfantrag und mehr als 3.000 Personen reisten legal in die USA ein.[6]
Was kann Deutschland aus diesen Erfahrungen lernen? Erstens gibt es kleine aber klar messbare Erfolge. Zwar haben auch diese Externalisierungsmodelle der USA bisher keine Reduktion der Gesamtheit irregulärer Ankünfte bewirken können. Im Gegenteil: Seitdem die Migrant Protection Protocols mit Mexiko und das Asylum Cooperative Agreement mit Guatemala umgesetzt wurden, sind die irregulären Ankünfte an der Südgrenze stetig gestiegen – auf mehr als 2,5 Millionen im Jahr 2023. Doch die Ankünfte aus einzelnen Herkunftsländern fielen sehr wohl merklich und rapide. Kamen beispielsweise im Dezember 2022 noch mehr als 35.000 Nikaraguaner und 42.000 Kubaner an der Grenze an, waren es nur zwei Monate später jeweils weniger als 1.000 Menschen.[7]
Dieser massive Einbruch der Ankünfte ist klar zurückzuführen auf zwei parallele Politiken, die die USA im Januar 2023 einführten: Sie erweiterten eine Politik namens Title 42, so dass u.a. Menschen aus Nikaragua und Kuba direkt an der Grenze nach Mexiko zurückgeschickt wurden, und öffneten gleichzeitig einen neuen legalen Weg namens Parole Sponsorship, so dass Menschen aus diesen Ländern legal in die USA einreisen und dort zwei Jahre leben und arbeiten können, wenn sie einen Bürgen in den USA haben.[8] Diese Kombination aus erschwerter Asylantragstellung bei gleichzeitigem Öffnen legaler Wege trägt dazu bei, dass die irreguläre Migration aus diesen Ländern auch heute, mehr als ein Jahr später, noch auf einem relativ niedrigen Niveau liegt.
Das Fazit ist klar: Migrationssteuerung und die Reduktion irregulärer Ankünfte sind bei einzelnen Gruppen zeitweise durchaus möglich. Wie das Beispiel der USA zeigen, braucht es dazu aber klügere Drittstaatenlösungen als die, die in Deutschland derzeit dominieren. Es braucht die Kooperation des direkten Nachbarlandes, um Rücküberstellungen möglich zu machen, und gleichzeitige Alternativen zur legalen Einreise in signifikantem Umfang. Erst in Kombination mit anderen Politiken können Drittstaatenlösungen ihre Wirkung entfalten.
Zweitens sollte Deutschland von den USA Mut zum Experimentieren und Digitalisieren lernen. Die Safe Mobility Offices ermöglichen es Antragstellern im Ausland, die Angaben zu ihrem Schutzgesuch zunächst digital hochzuladen. Erfüllen sie grundlegende Bedingungen, können sie zu einem persönlichen Interview vor Ort in den Safe Mobility Offices kommen. Besteht kein Schutzanspruch, wird geprüft, ob es andere Wege zur legalen Einwanderung gibt, beispielsweise zur Arbeitsmigration oder über Bürgschaften. Gerade weil Deutschland im Bereich Digitalisierung international hinterherhinkt, sollte es die Fortschritte anderer Länder nicht ignorieren, sondern aktiv den Dialog suchen, um deren gute Praktiken bei digitalisierter Asylantragstellung zu nutzen.
b) Huckepack-Strategie: Auf bestehende Modelle aufspringen, statt neue zu bauen
Wenn wir wie in diesem Beitrag ausgeführt trotz hoher Kosten nicht von einem garantierten Nutzen der Drittstaatenlösung ausgehen können, aber der politische Druck besteht, trotzdem in diese Richtung weiterzulaufen, sollte Deutschlands Strategie explizit kein neues bilaterales Abkommen mit einem noch zu findenden Partnerland sein, sondern das Aufspringen auf existierende Modelle.
Deutschland sollte die Beteiligung an der Safe Mobility Initiative der USA prüfen. Spanien und Kanada sind bereits Teil der Initiative. Die Bundesregierung sollte die Fortschritte dieser Migrationszusammenarbeit engmaschig verfolgen und prüfen, ob es möglich und sinnvoll ist, auf dieses Modell aufzuspringen. Nicht nur ist der mögliche Nutzen der Kooperationen gut abschätzbar und dadurch höher, weil die Erfahrungen Spaniens als Blaupause dienen können. Auch die Kosten sind geringer, wenn Deutschland nicht das Rad neu erfindet. Zudem könnte Deutschlands Beteiligung an der Safe Mobility Initiative auch dazu beitragen, die Partnerschaft Deutschlands mit Kolumbien, die der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen jüngst angekündigt hat, mit Leben zu füllen.
Parallel sollte Deutschland auch die Umsetzung anderer aktueller Modelle in Europa aufmerksam verfolgen. Italien plant den Beginn der Aufnahme von Asylbewerbern in albanischen Zentren im Mai 2024. Dazu werden nach den Wahlen im Juni 2024 vermutlich weitere Initiativen auf EU-Ebene folgen.
Es wäre unrealistisch zu fordern, dass Deutschland diesen Trend ignoriert oder rundheraus ablehnt. Deutschland sollte aber im Wissen um die hohen Kosten und den oft geringen Nutzen diejenigen Modelle der Drittstaatenlösung links liegen lassen, die vor allem Rhetorik und Augenwischerei sind. Die deutsche Politik sollte Abschied vom Prinzip Hoffnung nehmen und stattdessen die hier ausgeführte Huckepack-Strategie verfolgen, bei der Kosten und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Das wäre im Sinne aller deutschen Steuerzahler – egal welcher politischen Richtung.
Fußnoten
[1] https://www.aph.gov.au/About_Parliament/Parliamentary_departments/Parliamentary_Library/pubs/rp/rp1617/Quick_Guides/BoatTurnbacks#_Table_3:_Boat, https://www.kaldorcentre.unsw.edu.au/sites/kaldorcentre.unsw.edu.au/files/Policy_Brief_11_Offshore_Processing.pdf, S.4ff.
[2] Für eine Übersicht über Europas Hebel, um Migrationsziele gegenüber Drittländern zu erreichen bzw. über die umgekehrte Hebelnutzung von Drittstaaten gegenüber Europa: https://dgap.org/en/research/publications/conditionality-migration-cooperation, S. 24 und S. 31.
[3] https://data.unhcr.org/en/situations/mediterranean/location/5179
[4] https://gppi.net/media/ASILE_2023_Greece.pdf S.6
[5] https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:2a71444e-93d6-11e7-b92d-01aa75ed71a1.0001.02/DOC_1&format=PDF , S.5
[6] https://movilidadsegura.org/en/ , https://www.migrationpolicy.org/article/biden-three-immigration-record?eType=EmailBlastContent&eId=1d2d3d18-ec42-4ca9-82d7-5b6da09878be
[7] https://www.cbp.gov/newsroom/stats/nationwide-encounters
[8] https://www.cato.org/briefing-paper/parole-sponsorship-revolution-immigration-policy#
[1] Übersicht der Autorin. Für weitere Informationen s. https://dgap.org/de/forschung/publikationen/dreckige-drittstaaten-deals-und-saubere-zusammenarbeit-aus-dem-dilemma-der und https://dgap.org/en/research/publications/conditionality-migration-cooperation